Ein Kater namens Sidi Brahim

Kommunistische Brötchen

Weissbrot, Halbweissbrot, Ruchbrot, Vollkornbrot, Sonnenblumenkernenbrot, Vierschrotbrot, Urbrot, Baslerbrot, Ciroletta, Kartoffelbrot, Chabisbrot, Vollmondbrot, Halbschuhbrot, Sechskantbrot, Montag-morgenbrot, Menstruationsbrot, Gutelauneknebel, Mannomanna, Kukidentbrot, Morgenlatte und Egalbrot – wer frühmorgens zum Bäcker geht, hat die Qual der Wahl. Dabei möchte man doch Zwischen Frühpinkeln und Zähneputzen doch einfach irgend eine unprätentiöse Butterunterlage erstehen, ohne eine intellektuelle Meisterleistung erbringen zu müssen. Aber wehe, man sagt denkfaul der Verkäuferin, man möchte ein "Brot" – bis man sich das Sortiment angehört hat, ist alles hart und der Laden zu. Also gilt es, sich vor der gefürchteten Frage zu entscheiden, um nicht zu verhungern.

Da ist mir das Sortiment meines Haus-Bäckers auf dem Arbeitsweg doch schon viel sympatischer. Während der Kapitalismus allerorts sein Überangebot zelebriert, gibt es hier in schon fast üppiger international-kommunistischer Manier exakt drei Produkte: Pizza, Sandwich und Brot. Gut, in der Auslage und im Regal sieht man zwar annähernd gleich viele Sorten wie in den anderen Bäckereien, aber wahrscheinlich sind die meisten davon entweder reines Propagandamaterial, nur mit Devisen
zu erstehen oder bereits durch Funktionäre reserviert. Jedenfalls weiss die rothaarige Verkäuferin auf Anhieb, was man meint, wenn man eben eine Pizza, ein Sandwich oder ein Brot erstehen möchte und zieht ohne weitere Nachfrage das erstbeste Exemplar der zutreffenden Kategorie zielsicher hervor. Hat man präzisere Vorstellungen von seinen kapitalisch verwöhnten Wünschen und fragt beispielsweise nach, ob es auch Sandwich mit Schinken gebe, wird mit einem mürrischen Hinweis, man könne das ja gleich sagen, das Sandwich mit ausrangiertem Militär-Büchsenkäse wieder ins Schimmelabteil zurückgeworfen und durch ein gleichwertiges schweinisch gefülltes ersetzt.

Das kann ganz praktisch sein, wenn man morgenmuffel, denkfaul und mit stabilen Kutteln ausgestattet ist. Man schlurft verkatert in den Laden, ächzt "Pizza" und verlässt das Lokal ebenso schnell wieder, wie man es betreten hat, mit einer nicht weiter definiert belegten Schwammteig-masse, die man dann wenn möglich mit der grünen Seite nach oben zu verzehren pflegt, ohne weiter über deren Zusammensetzung nachzudenken.

Für anspruchsvollere Kunden ist es schon etwas schwieriger, zu einem den Anschein der eigenen Bedürfniserfüllung optimal erfüllenden Einkaufserlebnis zu gelangen, zumal die Pizzastücke in der Regel auf einer Platte aufgehäuft liegen und mit einem Papier vor dem Entweichen der Fliegen
geschützt sind. Da lässt sich die Tages- bzw. Wochenbelegung nur schwer erraten, und wenn man das Pech hat, voreilig ein Stück Salamipizza zu bestellen, kann es sein, dass das rothaarige Geschöpf nach erfolglosem Durchwühlen des Haufens verständlicherweise nur mehr beschränkt willig ist, weiteren exorbitantexklusiven Gelüsten des dahergelaufenen Kunden überhaupt noch entgegenzukommen. Hat man aber Glück und es findet sich tatsächlich zuunterst ein Stück mit der gewünschten Belegung, so wird dieses zwecks Aufholung der nun schon vertrödelten Arbeitszeit gnadenlos ohne Kartonteller und Serviette aber mit Fliegen in eine Papiertüte geworfen, die je nach Tagesform des Pizzastücks unmittelbar nach Bezahlung und Behändigung durch den Kunden zur Krümelsammelstelle oder Matschtasche wird. Zum Glück führt man die Unterlagen der ersten Sitzung schon mit sich, zwischen denen sich das hervorragend verstauen liesse, wenn da nicht schon eine alte Banane wäre.

Das gibt einem auch gleich willkommene Gelegenheit, eine halbe Stunde später Traktandum drei aufs nächste Mal zu verschieben.
Christoph Nörgeli

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