Ein Kater namens Sidi Brahim

Velofahrer aller Länder, vereinigt euch!

Das ist mir noch nie passiert: Ich fahre seit drei Jahrzehnten mit dem Rad kreuz und quer durch die Stadt Bern, auf Strassen, Trottoirs und Pannenstreifen, über rote, grüne und blaue Lichter und notfalls auch mit Vollgas über Hunde, Smombies und Grabfelder, weil ich es eilig habe, nach Hause zu kommen und genüsslich in einer SVP-nahen Tageszeitung eine Linie Leserbriefe von ordnungsgeilen Rechtsbürgern reinzuziehen, die sich über Velorowdies echauffieren. Aber angehalten worden bin ich bis jetzt noch nie. Bis heute.

Dabei bin ich ganz normal gefahren: auf der rechten Strassenseite, mit moderatem Tempo, und ich hatte auch nicht die sterblichen Überreste eines Rollators am Pneu kleben. Die einzige offensichtliche Sünde: Ein rosa Schächtelchen im Lenkerkorb. Der Polizist (eigenartigerweise mit Post-Käppi) stellte sich quer auf die Strasse, sah nicht aus wie Hund, Smombie oder Grabfeld, so dass ich wohl oder übel bremsen musste.

«Halt. Können Sie sich ausweisen?» Ja, das konnte ich. «Und können Sie mir bitte ihre Publibike-App mit der Ausleihbestätigung zeigen?» Konnte ich nicht, mein Nokia 3410 verträgt Apps leider ziemlich schlecht. Erst jetzt bemerkte ich mit einigem Schrecken, dass ich gar nicht auf meinem eigenen Velo sass, sondern auf einem E-Bike mit Lenkerkorb, Migroswerbung und Minirädern. Scheisse, wie war das bloss passiert?

Natürlich glaubte mir der Polizist meine Geschichte nicht, nämlich dass ich begeistert ob der vielen freien violett umrandeten Veloparkplätze, die es neuerdings in der
ganzen Stadt gibt, mein Fahrrad auf einem solchen parkiert hatte, als ich beim Sprüngli die in meiner Familie so beliebten Edel-Erdbeer-Luxemburgerli einkaufen gegangen bin. Zurück beim Veloparkplatz hatte ich dann meiner Familie die Ankunft der Süssigkeiten mit einer SMS angekündigt. Besagte SMS muss wohl, anders kann ich mir das nicht erklären, via elektronischer Fehlschaltung das Schloss des neben meinem Fahrrad stehenden Publibikes entsperrt haben, worauf ich in Vorfreude versehentlich einfach das falsche Fahrzeug bestiegen habe. Ich sei halt manchmal etwas zerstreut. Der Beamte befand meine Geschichte zwar für süss, aber wenig glaubwürdig, und leider brachte mir auch die Begehung des Tatorts keine Entlastung – mein eigenes Velo war verschwunden, wohl nicht abgeschlossen und versehentlich entwendet von einem ebenso zerstreuten Publibike-Kunden. Zum Glück hatte ich aber ja ein E-Bike erwischt mit vollem Akku, so dass ich dem Unordnungsverhüter entwischen konnte, bevor er zu unangenehmen Massnahmen schreiten konnte. Meinen Ausweis hatte er zwar noch, den überliess ich ihm aber grosszügig – mein Coucousin, der mir den mal vor Jahren fürs Schwarzfahren geschenkt hatte, würde mir schon einen neuen fabrizieren.

Meinem eigenen Fahrrad bin ich dann auf der Weiterfahrt begegnet: Es kam mir auf dem Trottoir entgegen, und weil wir ausgerechnet neben einem dackenden Kackel kreuzen mussten, kam es zur Dollision. Nachdem wir uns die Hosen abgewischt, die Luxemburgerli wieder eingesammelt und uns ansonsten gegenseitiger Unversehrtheit versichert hatten, stiegen wir wieder aufs Rad und fuhren weiter. Erst zuhause bemerkte ich, dass ich wieder mein eigenes unter dem Hintern hatte, dafür aber leider die
Luxemburgerli in die andere Richtung abgedampft waren. Nun ja, der Schaden hielt sich in Grenzen, ich war mir eh nicht so sicher, ob ich beim Einsammeln nicht danebengegriffen habe.

Man muss der Stadtregierung von Bern ehrlich zugestehen: die Veloinitiative ist ein voller Erfolg. Kaum je sind so viele Leute in Bern mit dem Rad gefahren, nicht mal mit dem eigenen. Und eben die neuen, zentral gelegenen violetten Veloparkfelder, auf denen man immer total viel Platz hat zum Parkieren, sogar neben der Hauptwache. Und auch die Postauto Schweiz AG könnte sich ja jetzt mal einfach stoisch auf ihrem Imageschaden ausruhen («Ist die Ruoff mal ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert, man war ja lang subventioniert»), sie wählt aber lieber einen viel sympathischeren Weg und verteilt die zwei Millionen Steuergelder, die sie für ihre Tochter Publibike von der Stadt erhalten hat, grosszügig dem Volk, statt es wie sonst in den eigenen Sack zu stecken. Das ist gut angekommen: Die Gratismietvelos waren ja im Nu weg wie Luxemburgerli. Das nimmt auch endlich mal dem Problem des Velodiebstahls in Bern den Wind aus den Segeln («geht nicht zum Hehler, fahr lieber zum Beeler»). Etwas kleinlich wirkt es allerdings, dass Publibike nun die Fahrräder wieder einzusammeln versucht, das macht irgendwie den Eindruck, als handle es sich nur um unfreiwilligen Kommunismus. Besser wäre es, beim nächsten Fünfjahresplan doch einfach mehr davon herzustellen. Und auf den Lenkerkörben statt für Migros für Marx zu werben.
Rosa Luxemburgerli

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