Ein Kater namens Sidi Brahim

Ächt Bodäständig

Als wir die Zelte abgebaut und die Pferde fertig bepackt hatten, wollte unser Pferdeführer sie zum Aufstehen bringen. Erst kitzelte er sie an der Nase, bot ihnen Würfelzucker an. Dann stupste er sie am Hintern, versuchte es auch mit einer Gerte, einem gezielten Stoss in die Flanke und einem Autoschlüssel, drohte mit Lohnkürzung und gar Entlassung, nahm das Handy hervor und tippte wie wild darauf herum, aber alles nützte nichts: Die Pferde blieben stoisch liegen und weigerten sich aufzustehen. Also alles abpacken, die Rucksäcke bis zum Platzen füllen – sie wogen nun gut 30 kg, dann noch ein Zelt links und einen Sack voll Lebensmittel rechts anhängen und ächzend loslaufen…

Schweissgebadet wachte ich auf, schreckt hoch und stiess an die Zeltwand. Gottseidank: Ich war ja in Kirgistan!

In der letzten Zeit habe ich häufig solche Grounding-Alpträume. Wenn man in Bern lebt, ist das allerdings ganz normal. Für Leute, die noch nie in dieser Stadt waren, und das sind wahrscheinlich recht viele, muss ich vielleicht ein paar Erklärungen nachschieben: Es handelt sich um die Hauptstadt der Schweiz. Die Schweiz liegt in Europa und ist vorbildlich, was Umweltschutz betrifft. Daher ist die Hauptstadt Bern eben auch nicht ganz
einfach zu erreichen: Für Fluggesellschaften, welche Bern anfliegen möchten, gilt manchmal ganz überraschend Bodenhaltung. Daher kommt es recht häufig vor, dass Touristen, die in die Schweiz fliegen wollen, in Schweden oder Swasiland landen, und das meistens nicht mal bis am Ende ihres Urlaubs merken. Der Rösti in Mbabane ist schliesslich genauso pampig wie in Bern, nur die Bedienung ist freundlicher, und der Nebel in Stockholm ist genauso dicht und teuer wie auf dem Jungfraujoch. Und die Kühe machen ihre Schokolade hinten raus, in der Schweiz wie anderswo.

Das wohl einzige Alleinstellungsmerkmal von Bern ist, neben der schwierigen Erreich­bar­keit, ein Fahrradverleiher, der keine Fahrräder hat, weil auch er gegroundet ist. Grounding ist der neue Sommer-Hype unserer Hauptstadt. In Bern wurden die bilateralen Verträge mit Europa und die Geschäftsleitung der Postauto AG1 gegroundet. Die Kleiderläden gehen noch schneller ein als die dort gekauften Kleider, die Beizen wechseln ihre Besitzer im Halbstundentakt. Es kann dir schon mal passieren, dass du einen Viergänger im Gault-Millau-prämierten Lokal bestellst, und dir dann ein Hamburger von einem Fräulein mit einem gelben M am Hut serviert wird.

Sogar im Kleinen wird das praktiziert: Ein Freund aus Grosshöchstetten ist im

1Die Postautos fahren noch, solange sie übersubventioniert sind
Frühsommer beim Kirschenernten gegroundet, kurz bevor er in die Hauptstadt ziehen wollte, er wollte wohl nicht abseits stehen. Ich selber kaufe seit Juli vorsichts­halber keine Mehrfahrtenkarten für den Bus mehr, man weiss ja nie, wie lange es Bernmobil noch macht. Und dieser Text ist übrigens auch nur wegen einem Grounding entstanden: eigentlich wollte ich wandern gehen, musste aber am Bahnhof wieder umkehren: Der Zug, den ich nehmen wollte, war ersatzlos ausgefallen, die Strecke bis auf weiteres tot, da eine Fahrleitung gegroundet war. Das Wetter übrigens auch.

Grounding ist übrigens ein Wohlstands­phänomen. In Gstaad, wo sich der gesamte Jetset des Landes versammelt, sind die Bergbahnen gegroundet. Vielleicht ahmt Bern das nun einfach nach, um aus dem Bauernmief herauszukommen und endlich mondän zu werden? Und übersieht dabei, dass es nur noch bodenständiger wird.

Wer entspannt reisen will, dem empfehle ich ein Trecking in Kirgistan! Das Land ist arm, da passiert einem solches nicht.
GroundStrike

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