Ein Kater namens Sidi Brahim

Mauerröschen

Heute, einen Tag nach Neujahr, war bei uns Ausschlaftag. Von den Sylvesterfeierlichkeiten und dem nachfolgenden Neujahrsausflug geschwächt tauchten erst ich, noch später meine Frau gegen mittag aus dem Koma auf, als unsere Tochter längst beim Frühstück sass. Spöttisch bemerkte sie zur letzten Mohikanerin: Du bist ein schönes Dorn­röschen! Unsere schon etwas alters­schwachen Ohren verstanden allerdings: Du bist ein schönes Daunenröschen! Was mich wiederum zur Bemerkung veranlasste: Nur manchmal weckt sie der Brunz. Nun ja, es ist halt Zeit für das Neujahrsmärchen:

Es war einmal ein wunderschönes weisses Schloss inmitten eines grünen, dunklen Waldes in einem fernen Lande. Darin lebte ein wunderschöner gottgleicher Prinz, der sehr von sich eingenommen war. Das war so gekommen:

Eine wunderschöne1 Prinzessin aus einem Lande östlich des Schlosses, aber doch nicht zu weit östlich, jedenfalls noch westlich des Reichs der Mitte, küsste gerne Frösche, nicht etwa, weil sie gastronomische Vorlieben aus Frankreich gehabt hätte, sondern einfach, weil sie gerne ein glamouröses Leben in Wohlstand verbringen wollte. Daher wurde sie Model und dabei sowohl was den Wohlstand als auch was das Fröscheküssen betraf einigermassen erfolgreich, hatte bald aber mal die hübsche Nase voll davon, besonders vom Fröscheküssen, da dies auf die Dauer doch unangenehmen Mundgeruch beschert.

1Das Attribut gehört grundsätzlich zu Prinzessinnen, Prinzen und Schlössern in Märchen, man möge daher bitte die Wiederholung entschuldigen.
Daher wollte sie nur noch ein einziges Mal im Leben einen Frosch küssen, aber dafür einen wirklich reichen, damit sie danach Ruhe hätte. Diesen Frosch fand sie im obgenannten Schloss, küsste ihn voll froher Hoffnung, und er verwandelte sich in einen wunderschönen blonden Prinzen2:
Der Prinz aber hatte eine unsägliche Angst vor Ansteckungen und wollte deswegen niemandem die Hand reichen. Bei Besuchen von Königen aus anderen Schlössern ging das natürlich nicht, daher musste er sich nach den Formalitäten immer stundenlang die Hände waschen. Nur einen Prinzen aus dem Morgenland, den empfing er gerne, weil er wusste, dass an dessen Händen nichts anderes klebte als Blut. Auch vor un­ge­schütz­tem Geschlechtsverkehr hatte er natürlich sehr Angst, daher hatte er auch als eine seiner ersten Amtshandlungen das Pariser-Abkommen gekündigt und seine ehemaligen stürmischen Mätressen mit viel Geld mundtot gemacht (mit Küssen ging das nicht mehr, da seine Prinzessin was dagegen hatte und auch wegen der Ansteckungsgefahr). Er hätte sich wegen seiner Angst so gerne eine Mauer rund um das Schloss gewünscht, um fiese Wölfe, Hexen, Kanzlerinnen, Mexikaner, Stiefmütter und anderes Ungeziefer abzuhalten, aber seine Reichskammer lehnte dies ab, aus Kosten­gründen und weil die Kammerjäger in der­selben die Mehrheit bildeten und um ihre Arbeit fürchteten. Der Prinz geriet darob in arge Wut, stiess chinesische Bannflüche aus,

2Es scheint nicht ganz ausgeschlossen, dass sich bei vorliegender Transformation ein Chinese mit einer Genschere etwas verschnippelt hat.
entliess seinen Sicherheits­berater, schlug die Tür am neben dem Schloss stehenden weissen Häuschen mit einer solchen Kraft zu, dass das darin ausgesägte Herzchen einfach stehen blieb, und machte dort noch anderen Scheiss, aber alles Toben nützte nichts, sondern führte nur dazu, dass er vom Hafer gestochen wurde, was einen bösen Bann auslöste. Kurz darauf fielen er und der gesamte Hofstaat in einen tiefen, tiefen Schlaf. Die Beamten hörten einfach auf zu arbeiten, die Ministerien öffneten ihre Türen nicht mehr, die Minister wurden entlassen, die Börse fiel in den Abgrund, nur die Zuckerberge, Sandberge und Müllberge wuchsen ungebremst weiter, weil sich keiner mehr um sie kümmerte und weil sie längst die Grenzen des Landes überwunden hatten und daher vom bösen Bann gar nicht betroffen waren. Eine riesige Dornenhecke wuchs um das Schloss herum, so dass keiner mehr hereinkam. So hatte der Prinz sein Ziel doch noch erreicht. Und bald wusste auch keiner mehr, dass innerhalb des riesigen Dornenwaldes überhaupt einmal ein Schloss gestanden hatte.

Und wenn der Bann noch etwas wirkt und stärker ist als die ADHS-Hormone der Hauptfigur dieses Märchens und kein Vollidiot daherkommt und die Prinzessin, die ja eigentlich ein Prinz und schon verheiratet ist und auch sonst alles in dem Märchen schon durcheinandergebracht hat, wachküsst, dann schlafen sie bis zum heutigen Tag. Aber bald schon ist morgen, und der Prinz wird uns sicher wieder mit irgendeinem Brunz wachküssen…
Stormy Donalds

>bilder
>home >archiv