Ein Kater namens Sidi Brahim

Liebe Klimajugend

Heute war ich auf eurer Demonstration. Mir hat sehr gut gefallen, dass sich so viele junge und neuerdings auch ältere Menschen für dieses existenzielle Thema interessieren und bereit sind, etwas weiter zu denken, als «wohin fliegen wir in den nächsten Ferien?», «muss unser nächstes Auto auch unsere gesamten Fahrhabe in einer einzigen Fuhre auf die Fisialp fahren können müssen, falls wir je dorthin aussteigen wollen in den nächsten fünf Jahren?» oder «heute brasili­anisches Angus-Beef mit oder ohne Avocado-Sauce?». Der Klimawandel ist unterdessen auch bei uns spürbar geworden, wenn auch noch auf abenteuerliche Weise – wir können mit dem Porsche auf der «Grand Tour of Switzerland» den Schwund des Aletsch­gletschers von der Terrasse des Hotels Furka bei einem prickelndem Mineralwasser bestaunen – statt auf existenzielle – wir müssen neuerdings das Wasser aus dem fast ausgetrockneten Flussbett der Aare holen, weil aus dem Wasserhahn nichts mehr kommt. Aber eben: das Existenzielle fehlt noch. Und daher sind immer noch die anderen schuld, dass sich die Atmosphäre erwärmt: Die Grosskonzerne, die Politik, das System. Nur nicht wir. Netto 0 CO2 bis 2030, wie ihr fordert, kriegt auch die UBS und CS gemeinsam nicht hin, die angeblich, laut euren heute gemachten und leider nicht belegten Aussagen für die Hälfte des Schweizerischen CO2-Ausstosses verant­wortlich sind. Diese Aussage ist moralisch einseitig: Das CO2 wird ja nicht von den Banken erzeugt - so viel furzt wirklich kein Banker - sondern von den Kreditnehmern. Und diese liefern Produkte, die von den Teilnehmern der Klimademonstration willig gekauft werden. Wer ist da nun schuld? Ihr schimpft gegen den Kapitalismus und seid gleichzeitig die besten Zudiener desselben?
Heute neue Kleider, morgen ein neues Handy, übermorgen ein neues Auto und am Ende der Woche ein neues Haus. Und euere Kinder? Heute neue Kleider, morgen ein neues Handy, übermorgen ein neues Auto und am Ende der Woche ein neues Haus. Diese Spirale gehört auch dazu!

Klar müsst ihr, müssen wir nicht CO2-Engel sein, um selbst Forderungen für eine radikale CO2-Reduktion stellen zu dürfen. Aber die anderen werden dieser Forderung nicht nachkommen und mit gutem Recht auf uns zeigen, wenn wir selbst nicht ein eigenes Bekenntnis abgeben. Warum sollen wir, wenn ihr nicht? Es braucht einen Deal: Wir sind bereit, … wenn ihr endlich …. Zum Beispiel eine wirklich gerechte und ausnahmslose Lenkungssteuer, die den gesamtheitlichen Schaden, die jedes Kilogramm verbrauchtes CO2 erzeugt, auf alle, wirklich ALLE Produkte unseres täglichen Lebens aufrechnet. Keine Ausnahmen für Hoteliers, Schweinebauern, Autofahrer, Importeure, Ländlerkomponisten, Lockenwickler und SVP-Wähler wie sonst üblich. Und es braucht eine Verpflichtung: Ich nehme teil an dieser Demo und bin damit persönlich bereit, dieses und nächstes Jahr nicht zu fliegen, mindestens dreimal die Woche fleischlos zu leben, die Locken nicht mehr zu wickeln und endlich die rostige Kette an meinem Fahrrad zu ölen. Das wäre mir sympathisch. Und ich wüsste endlich: ja, ich bin nicht der einzige, der bereit ist, ein Opfer zu bringen am Ende doch der Blödmann zu sein, der auf einem faden Stück Tofu rumkauend die schlechte Luft der anderen einatmen muss. Kollektiv mit 10’000 anderen Blödmann sein ist schon viel besser als allein. Und irgendwann mal ist es schon eine Million, die auf Tofu rumkaut und nicht mehr fliegt. Und noch irgendwann mal ist das selbstverständlich, und wir fühlen uns sogar glücklich dabei.

Und: Bitte hört auf mit Slogans wie «Fuck the
System». Das wird keine politische Partei in ihr Programm aufnehmen, nicht einmal die Grünen und die Sex Pistols. Damit könnt ihr nur auf dem Vorplatz der Reithalle den vorbeieilenden Bankern ein müdes Lächeln abringen. Das ist weder konstruktiv noch bringt das eine Lösung. Es gibt kein besseres politisches System als unseres, um die Forderungen der Klimademos zum Erfolg zu bringen. Weder Russland noch Amerika noch China und Saudi-Arabien sind heute Vorreiter im nachhaltigen Erdbeeranbau. Wenn ihr das wirtschaftliche System meint und nicht das politische, dann drückt das bitte auch differenziert aus! Und bringt Argumente, nicht nur Brüllworte. Wenn ihr die Masse solche Sachen brüllen lässt, dann nächstes Mal ohne mich und wahrscheinlich ohne die gesamte erwachsene Generation! Ihr wollt euch nicht instrumentalisieren lassen? Dann bitte auch nicht von den Anarchos! Die Zeit ist vorbei, wo die Neandertaler den Mammuts hinterherrennen oder umgekehrt, wir fliegen unterdessen auf den Mond und essen Vollkornmüesli! Denken statt brüllen!

Die Masse aber braucht es! Die Masse ist Macht, sie hilft, politisch etwas in Bewegung zu bringen. Die Bewegung der Klimademonstration ist daher ganz wichtig. Aber die Masse muss auch ganz klar sagen, was in Bewegung kommen soll, muss Argumente bringen. Wer im System die Spielregeln einhält, kommt weiter, als wenn er am Boden liegt, strampelt und brüllt «ich will meinen Lolly». Der Dreieinhalbpunkteplan ist ein guter Ansatz. Noch konkreter wäre noch besser, eben zum Beispiel eine korrekte CO2-Lenkungssteuer, ein echtes Klimagesetz. Macht Vorschläge, dealt, handelt mit dem System, macht Zugeständnisse und tut dies nicht nur «fucken»! Es wird zurückfucken!
Muckefuck

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