Ein Kater namens Sidi Brahim

Hauwei

Murphy’s Gesetz gilt nicht mehr! Grossmutters Erdbeermarmelade bleibt nämlich unberührt auf dem Frühstückstisch stehen, da man sie einhändig einfach nicht auf die Schnitte kriegt. Die andere Hand ist nämlich mit dem Handy belegt, der mittlerweile übergrosse Daumen checkt die Mailbox, schaut nach, ob es draussen regnet, likt den Börsenkurs, hatet den Chef, fakt die Matheaufgaben und postet das neuste Foto des marmeladelosen Brots auf Facebook. Derart handykapiert und von den asozialen Medien in Beschlag genommen wird natürlich auch nicht mehr miteinander gesprochen. Ganz anders bei uns, da ist die Welt noch in Ordnung. Wir schwatzen wie eine gesunde ADHS-Familie wild durcheinander in unserem gemeinsamen Breakfastchatroom. Das hat noch weitere Vorteile neben Murphy’s Entmachtung: Keiner fällt dem anderen mehr ins Wort, wir können der Tochter beweisen, dass wir sie darauf aufmerksam gemacht haben, die Turnsachen nicht zu vergessen, und wir verdienen Geld, ohne klebrige Finger zu kriegen, weil Google, der NSA und Huawei sich darum streiten, mitlesen zu dürfen.

Ja, längst ist die Überwachung keine amerikanische Domäne mehr. Die Chinesen mischen da schon kräftig mit. Die gelbe Invasion hat längst begonnen. Vor wenigen Tagen hat eine Armee von 12000 Pannacotta-Kriegern als Touristen getarnt die Stadt Luzern geflutet, sämtliche Kuckucksuhren aufgekauft und mit ihren Smartphones die Stadt flächendeckend abfotografiert. Dank Gesichtserkennungssoftware, Barcode und RFID-Chip weiss Xi Jingping jetzt, dass Frau Müller, wohnhaft an der Florastrasse 45, um 10:32 im Coop Winkelriedstrasse ein Heidelbeerjoghurt gekauft hat. Die Analyse, zu welchem Zweck dies geschehen ist, steht
noch aus, terroristische Motive sind aber wahrscheinlich. Würde Frau Müller nicht Marlies, sondern Fatima heissen, und hätte sie das Heidelbeerjoghurt statt im Coop auf dem Basar in Kashgar gekauft, wäre sie jetzt schon in einem Umerziehungslager, pardon in einem Bildungszentrum, zusammen mit ihrem Joghurt. Im Gegensatz zu Frau Müller würde das Joghurt dieses in drei Jahren als dipl. Sojasauce verlassen und über die Seidenstrasse ins Coop Winkelriedstrasse gelangen, wo es von Ueli Maurer gekauft würde.

China ist das einzige Land weltweit, welches die Quadratur des Kreises, die Synthese aller tollen Eigenschaften des Kommunismus mit allen tollen Eigenschaften des Kapitalismus erfolgreich hingekriegt hat und sich natürlich auch dazu berufen fühlt, seine Brillanz in die Welt zu tragen. Die Seidenstrasse ist das Myzel des chinesischen Kolonialismus, dessen Fäden nun auch die Schweiz erreicht und den Bundespräsidenten eingewickelt haben. Neben billigen Konsumgütern wie Einweglap­tops, Fernsehapparaten mit individualisiertem Umerziehungsprogramm und automatischem Erfolgs-Fernscreening sowie Rasenmäh­robotern (sog. Maulwürfen) kommen auch kulturelle Errungenschaften aus dem Osten auf der Seidenstrasse zu uns und werden mit dem roten Teppich empfangen. So soll Thorberg das erste gesamtschweizerische Feriencamp für Klimaaktivisten werden unter der Leitung von Roger Köppel. Auch die drahtlose Seidenstrasse in Form des neuen Handynetzes 5G, das vergleichbar mit dem Fünffingerkraut in unserem Rasen (woher kommt das bloss?) in unsere Heime und Hirne eindringen wird und dank Huawei den direkten Draht zum chinesischen Geheimdienst herstellen soll, soll zügig eingeführt werden. Auch der in Westchina praktizierte Minderheitenschutz wird in adaptierter Form zu uns kommen: Das Kirchen-Berichtigungsprogramm befindet sich
bereits in Planung. Zunächst sollen die Heiligenscheine flächendeckend durch Partei-Sünneli ersetzt werden. Später werden diese Keimherde für unkontrollierte Nächstenliebe von der Partei sterilisiert und in Schweine­mast­betriebe umgewandelt werden, damit die zurzeit wegen der Afrikanischen Schweinepest nicht besonders beliebten chinesischen Schweine vor ihrer Abberufung zu heiligen Weihen eingebürgert werden können. In diesen Cervelat-Repatriierungsbetrieben sollen natürlich die chinesischen Menschenrechte strikt durchgesetzt werden. Zur Sicherheit werden einige Parteivertreter darum herumstehen und jodeln.

Nicht zuletzt ist 5G ist ja auch der Standard, der erst das Internet der Dinge möglich machen und unser Leben viel bequemer machen wird. Während mein Handy selbständig meine Mails beantwortet, mich meine Zahnbürste beim Zahnarzt anmeldet, mein Drucker die Rechnungen zahlt, der Kühlschrank in der St. Georgskirche Schweinsgeschnetzeltes bestellt, ein russischer Bot für mich abstimmen geht, die neben dem Klo stehende Harasse Felsenau-Bügelflaschen sich von selber wieder auffüllt und das Heidelbeerjoghurt im Kühlschrank sein Verfallsdatum automatisch an den NSA übermittelt1, liege ich faul in der Hängematte, die mir aus «1984» vorliest, und warte, bis Ueli mit der Sojasauce kommt. Dann machen wir uns zusammen Chop Suey und einen gemütlichen Abend. Und dazu gibt’s diesmal von Chinesen gefälschtes Bier.
Tian Amen

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111. September 2019