Ein Kater namens Sidi Brahim

Kamikaze-Kanapees und kalte Betten

Böse Zungen behaupten, der Trend habe zeitgleich mit der Einführung der Kericht­gebühren angefangen. Vielleicht aber ist es auch die uralte Sehnsucht der sich gerne im Häusele einigelnden Schweizer nach etwas mehr Italien, wo das Leben ja bekannter­massen draussen stattfindet. Egal, jedenfalls lässt sich seit einigen Jahren beobachten, dass die Möbelpreise so tief sind wie noch nie, wahrscheinlich einfach, weil der Markt übersättigt ist. Überall auf den Strassen stehen Nachttischchen, Polstergruppen, Fernsehapparate, Kommoden, Servierboys und Gummisusis rum, feinsäuberlich mit Zettelchen versehen, auf denen liebevoll von Hand «gratis» geschrieben ist.

Das ist natürlich schön. Man kann sich mit einem Feierabendbier und einer Tüte Chips bewaffnet auf die Strasse begeben, sich das bequemste Sofa aussuchen und es sich gemütlich machen. Häufig kommen Nachbarn auf dieselbe Idee, und es entsteht tatsächlich so etwas wie soziales Leben auf der Strasse, trotz Goretex-Kleidung. Und wenn nicht, kann man immer noch die Gummisusi neben sich setzen. An warmen Sommerabenden kann man auch eines der Nachttischchen zu Kleinholz verarbeiten und bequem sitzend Cervelats bräteln. Oder man kann ein Strassenfest organisieren und die Teenieband «Görli und die Polstergruppe» engagieren.
Manche gehen bei solchen Gelegenheiten dann allerdings etwas zu weit und stellen auch noch gleich ihre gute Kinderstube vor die Tür, vor allem wenn es Freibier gibt. Aber im Gegensatz zur IKEA kann man das Sofa ausgiebig testen, reinfurzen, prüfen, ob die Chips und die Mayonnaise keine Flecken machen, und wenn man es tatsächlich liebgewonnen hat, zuletzt mit nach Hause nehmen. Wenn die Nachbarn nicht schneller waren oder die Katzen schon reingepinkelt haben. Gutes Timing ist eben alles. Manche Leute stellen ihre alten Betten ausgerechnet vor dem ersten Schneefall raus. Die bleiben dann meistens bis im Frühsommer gratis, bis die Schaumstoffmatratzen wieder trocken sind und sie von Google Street View endlich erfolgreich weitermittelt werden können. Das hat den Vorteil, dass wegen der vielen kalten Betten in unserem Umfeld nicht weiter gebaut werden darf.

Gut, manchmal treibt die Aussenraum­möblie­rung auch etwas seltsame Blüten. Ich habe auch schon mal beim Pilze suchen eine ganze Wohnzimmerausstattung im Wald gefunden. Im Langenthaler Porzellan in der Vitrine nisteten Amseln, und ein Starenschwarm auf dem Weg nach Süden hatte es sich in der Polstergruppe gemütlich gemacht und schaute regenwurmnaschend gerade «Deutschland sucht den Superstar». Und vor einigen Jahren lasen wir in der Zeitung von einem auf der Autobahn hingestellten Sofa, das unsachgemäss behandelt worden sei, weswegen die Versicherung dann weder ein neues Sofa noch ein neues Auto bezahlen wollte. Solche Kamikaze-Sitzgelegenheiten
eignen sich weniger für ein gemütliches Tête-à-Tête, man sollte auf alle Fälle nicht die teuren Riedel-Weingläser mitnehmen und einen Helm anziehen. Gerade zu den klassischen Zügelterminen kann es auch mal vorkommen, dass man mit Alpinausrüstung in die Migros einkaufen gehen muss, weil ganze Berge von Möbeln die Strasse bis zur Dachtraufe verstopfen. Auch die Besteigung einer Wohnzimmer-Nordwand mit Turnschuhen kann versicherungstechnisch problematisch sein.

Auch unseren alten, mit kleinen Styropor­kügelchen gefüllten Sitzsack hatten wir nach der letzten Wohnungsumräumung mit einem Gratis-Zettelchen vor unserer Tür auf die Strasse gestellt. Leider haben die Katzen und Krähen das falsch verstanden. Es gibt ja keine anhänglicheren Haustiere wie Styroporkügelchen, und wir sind danach vier Wochen lang wie Similasan-Maskottchen im Globuli-Kostüm rumgelaufen. Und dann gab es noch die bösartigen Nachahmer unter den Hundebesitzern, welche statt Knistersäckchen kleine «Gratis»-Zettelchen an Zahnstochern auf ihre Gassi-Tour mitnahmen und auf diese Art die Geschäfte ihrer Vierbeiner abschlossen. Aber zum Glück ist da keiner drauf reingefallen, die kleben nämlich noch besser wie Styropor und riechen ausserdem etwas fest nach Brockenstube.
Couch Potato

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