Ein Kater namens Sidi Brahim

Château Médiocre Grand Cru Classé

Hinlänglich bekannt ist, dass, wer es zu einem Mathematikgenie bringen will, viel Disziplin braucht. Unter anderem vertragen sich Komplexe Analysis, Differentialgeometrie und besonders Mengenlehre nicht mit Wodka1. Auch die Anwendung von Statistik leidet unter Weingenuss. Ein Beispiel: 127% der Personen, die morgens mit den Lederstiefeln an den Füssen erwachen, haben Kopfweh und gehen zum Arzt wegen Verdachts auf eine Lederallergie.

Das hindert Koryphäen der Weinwelt wie Robert Parker und seinen Hund nicht daran, Weine zu beurteilen, nachdem sie getrunken wurden. Und die Beurteilung wird dann ja nach schtatischtischen Methoden vorgenommen: Die Weine erhalten eine Punktzahl zwischen 0 und 100. Der naive Weingeniesser vermutet nun, dass diese Punkte einer Normalverteilung folgen: 0 Punkte gibt es für Putzessig, 100 für Pétrus. Ohne seinen Ruf zu beschädigen, könnte jedoch Robert Parker nie zugeben, Putzessig getrunken zu haben, daher erhält auch dieser mindestens 80 Punkte. Und Pétrus kriegt seine 100 auch nur, wenn Parker mindestens ein Kistchen davon probieren durfte.

Ich traue Parker zumindest soviel Unbestech­lichkeit zu, dass der Putzessig auch nach

1die Vereinigungsmenge von Stroganoff und Smirnoff ist Strogamirnoff, wenn die dritte Flasche zu Bruch geht, entsteht als Schnittmenge ein Off
einem ganzen Kistchen nicht mehr als 90 Punkte kriegen wird und der Pétrus auch nach dem Putzessig im gleichen Glas eingeschenkt nicht mehr als 110 Punkte. An seinem Geschmackssinn zweifle ich jedoch trotzdem. Denn dieser hat mit Sicherheit sehr stark unter seiner Lederallergie gelitten. Erstens: Diese Lederallergie versucht er höchst ungeschickt zu vertuschen, indem 3 von 2 Weinen, die er probiert, nach «Noten von Leder» schmecken, um damit zu beweisen, dass er nicht darunter leidet. Zweitens: der regelmässige Genuss von zu jungem Bordeaux, der bekanntermassen sehr viele Gerbstoffe enthält, hat wahrscheinlich seine Zunge zu einem Fahrradsattel gegerbt, der wohl tatsächlich nur noch nach Leder schmecken kann. Sogar wenn Chris Frome eine ganze Tour de France darauf gesessen wäre und dabei unter Durchfall gelitten hätte. Und drittens wehrt er sich wie jeder Leder­allergiker mit Händen und Füssen gegen eine Statistik, die zu beweisen wagt, dass die Analyse des Winterregens und des Wetters während der Wachstumsperiode der Trauben eine genauere Voraussage der künftigen Weinqualität erlauben als Old Leathertongue’s Geschmackspapillorama, und die dabei zur Erkenntnis kommt, dass viele junge Weine und alte Parker völlig überzahlt sind, weil sie zu gute Lederprognosen erhalten bzw. erteilen.

Nicht nur Parker, auch die Weinjahrgangs­tabellen, die bezeichnenderweise von Weinhandelshäusern erstellt werden und nicht vom Blauen Kreuz, stehen mit der Statistik auf Kriegsfuss. Bei einer Skala von 1-5, wobei 5 herausragend, 4 sehr gut, 3 gut, 2
mittelmässig und 1 schwach heisst, ist es schon eigenartig, dass in sämtlichen Weinbauregionen weltweit seit über einem Dutzend Jahren nie mehr ein mittelmässiger, ergo durchschnittlicher, oder gar schwacher, ergo unterdurchschnittlicher Wein hergestellt worden ist, sondern alle Weine über dem Durchschnitt lagen. Die meisten Weinjahr­gänge sind gar herausragend oder sehr gut. Wahrscheinlich unterliegt die Berechnung des Weindurchschnitts neuerdings auch der alkoholischen Relativitätstheorie, die sagt, dass im Suff alles Super ist. Weiter fällt einem auf, dass der erste «bloss» gute Jahrgang schon fünf Jahre zurückliegt und in den älteren Jahren «bloss» gute Jahrgänge häufiger vorkommen. Dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch der grösste Bocksmist «great» ist, daran haben wir uns ja mittlerweile gewöhnt, dass aber selbst die Schweizer, ansonsten sehr auf Bescheidenheit bedacht, kein Mittelmass mehr hinkriegen, das irritiert dann doch etwas. Das legt folgende Schlüsse nahe: Erstens ist die Lederallergie verbreiteter als man allgemein vermutet, zweitens werden Weine beim Altern schlechter und drittens war Chris Fromes Sattel mit 13.5% Wahrscheinlichkeit mit mehr als 0.8 Promille unterwegs.
Parkerrhöbi

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