Ein Kater namens Sidi Brahim

Eierlaufen im Zeitalter des bargeldlosen Geschlechtsverkehrs

Angefangen hat es mit einem Kuchen. Ich will einen Kuchen backen und stelle fest: Keine Eier da. Also fische ich eine Zehnernote aus der Matratze und ab in die Migros, ein Sixpack holen. Sowas geht ja schnell. Am Samstagvormittag sind ja kaum Leute unterwegs. Jedenfalls bis zu den Kassen, wo sich meistens die geschätzte halbe Welt­bevölkerung gegenseitig gut gefüllte Einkaufswagen in den Po schiebt.

Die Kassen wurden jedoch in der Migros nach und nach bis auf eine einzige abgeschafft und durch Selfscanstationen ersetzt, neben denen das Personal gelangweilt rumsteht und Fingernägel feilt, Bodyscanning betreibt oder sich in Taschendiebstahl übt. Ich habe aber irgendwie was gegen Streifen, die irgendwelche mysteriösen Informationen über mich und meinen Einkauf verraten, und ziehe schon allein deshalb nie gestreifte Pullis an. Noch schlimmer sind natürlich die Streifen, die auf der Eierpackung aufgedruckt sind und die ich ja dann einscannen müsste. Die könnten den Datencrawlern in der IT-Zentrale des orangen Riesen meine Blutgruppe, meine sexuellen Vorlieben oder mein Jahreseinkom­men verraten, die diese Informationen mit Facebook verlinken und liken, und dann wüsste die ganze Welt das alles über mich und dass ich sechs Eier habe. Ich hätte einen ganzen Haufen unerwünschter Follower, die mir dann womöglich an die Eier wollen. Dann hätte ich den Salat, aber keine Eier mehr, und mit Salat kann man keinen Kuchen backen. Daher zahle ich lieber in bar. Die Informatio­nen unter den Streifen können die Streifen­hörnchen sich ans Bein kleben. Übrigens: Hat schon mal jemand einen Bankräuber mit einem gestreiften Damen­strumpf über dem Kopf gesehen? Eben!

Das heisst, ich wollte an der einzigen verbliebenen Kasse anstehen. Aber die gab es gar nicht mehr. Beim Kundendienst verdrehte man die Augen ob meinem exotischen Anliegen und verwies mich in die Damen-
kleiderabteilung. Dort fand ich wie beschieden die umgebaute Umkleidekabine, die ich nach einem Ganzkörper-Sicherheitscheck betreten durfte und hinter mir den Vorhang zog. Die Kabine war zweigeteilt, in der Mitte trennte eine massive dunkle Holztür mit einem eingelassenen Gitterfenster mich von der dahinter im Dunkeln sitzenden Person. Ich kniete davor nieder und zählte meine Einkäufe auf, also die sechs Eier. Daraufhin schob ich meine Zehnernote durch den Schlitz unter dem Gitterfenster. Zurück kam das Wechselgeld, eine handgeschriebene Quit­tung, auf welcher der Betrag und eine Vaterunsergutschrift stand. Hinter mir hatte sich unterdessen eine Schlange gebildet, und ich dachte schon, ach wie schön, noch andere die sich nicht einfach abstreifen lassen, aber die meisten hatten ein Zalando-Paket unterm Arm.

So war es das letzte Mal gewesen, als ich spontan einen Kuchen backen wollte. Diesmal weiss ich ja schon, wo die einzige verbliebene Barzahlungsmöglichkeit der Migros ist und steuere mit meinen Eiern zielsicher durch BH’s und Spitzenhöschen zur Umkleidekabine. Aber ach, da ist nichts mehr mit Zahlen. In der Kabine sitzt ein Mann in einer orangen Soutane auf einem Schemel, vor sich ein Karton mit der Aufschrift «Depromania». Er schaut mich mit traurigem Blick an, in dem aber ein Erkennen flackert: «Ach, die Eier!». Dann fischt er einen ebenso traurig dreinblickenden Mini-Stoff-Mops aus dem Karton und überreicht ihn mir. Der Mops trägt ein riesiges Lätzchen am Hintern, das ausweist, dass er in China gezeugt wurde und nicht gerne heiss badet. Wenn man ihn drückt, zwitschert er «Junge, komm bald wieder».

Da bleibt mir also doch nichts anderes mehr übrig, als zu einer der Selfscankassen zu pilgern und meine Eier zu scannen. Auf dem Bildschirm erscheint ein Röntgenbild der Eierschachtel und der Vermerk «kein Ei gesprungen». Ich bestätige, dass ich weder eine Cumuluskarte, noch einen Organ­spender­ausweis oder irgendwelche Tropenkrankheiten habe, und werde zum Zahlen aufgefordert. Als Zahlungs­möglich-
keiten stehen jedoch nur Kreditkarte, Postcard, Western Union, Blockchain oder Vaterunser zur Verfügung, Nixa Bargeld. Und die Vaterunser habe ich schon bei der Steuererklärung verbraucht. Was tun? Die Bundesbahnen sind da offener. Deren Automaten nehmen noch Bargeld, sogar Naturalien. Glauben Sie nicht? Ich hab’s mal ausprobiert: Nach 78 Gurkenscheiben kam der Fahrschein nach Niederscherli tatsächlich raus. Aber zurück zu den Eiern: Ich wähle Postcard, weil die von Form und Farbe her meiner doppelt gefalteten Zehnernote am ehesten gleicht, und schiebe letztere in den Schlitz. Ist aber hier nicht gut. Die Sprinkleranlage geht los, und dank dem ohrenbetäubenden Alarm kriege ich endlich die mir im Leben zustehende Viertelstunde Berühmtheit sowie eine Anzeige wegen Sachbeschädigung und Geldwäsche, aber keine Eier.

Nun, probier ich es halt im neuen Tante-Emma-Laden, der bei uns im Dorf neulich wieder aufgemacht hat. Der hat ja auch Eier. Ich überreiche meine Zehnernote. Die Frau an der Kasse dreht sie zweimal um, hält sie gegen das Licht, reibt mit dem Fingernagel darüber und fragt endlich: «Was is’n das?» Ich wünsche Emma einen schönen Tag und ziehe mit der Zehnernote und ohne Eier ab, bevor ich wieder nass werde.

Ich habe unterdessen einen Weg gefunden, doch noch an Eier zu kommen. Habe eine Hühner-Kita namens «Chicken fun» gegründet. Da pilgern meine Kunden jeden Morgen hin und bringen mir frische, noch Po-warme Eier. Zum Glück sind Hühner vergesslich und denken nicht daran, am Abend ihre Kinder wieder abzuholen. Und wenn doch, dann gibt es erst mal Tee und ein Stück Kuchen, wir schnattern und gackern ein bisschen. Der Mops dient mir als Dolmetscher. Und am Ende ziehen sie ab und haben wieder vergessen, weswegen sie eigentlich gekommen sind.
Blixa Bitchcoin & Johnny Crash

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