Ein Kater namens Sidi Brahim

Der Zwillingsbruder vom Nikolaus

Es hat geschneit. Und ich bin dem Weihnachtsmann begegnet. Sowas kann schon mal passieren nach zwei, drei Gläschen Glühwein, dass man Sachen sieht, an die man eigentlich schon lange nicht mehr glaubt. Da müsst ihr jetzt gar nicht so schnöden. Glühweinbedingt dem Weihnachtsmann zu begegnen würde euch auch mal wieder guttun. Und wenn es dann nur Schnee­wittchen, King Kong oder Bundesrat Maurer ist, habt ihr ja wenigstens den Glühwein auf sicher. Alkohol kann den Glauben ganz schön stärken. Viel Alkohol stärkt sogar den Glauben an einen selbst und an all die komischen Geschichten, die man erzählt und an die man sich ohne Alkohol gar nicht mehr erinnern kann. Noch mehr Alkohol führt dann allerdings zu Glaubenskonflikten, weil man dann auf einmal an Gott und seinen Zwillings­bruder glaubt und damit den Monotheismus des Christentums in Frage stellt. Früher wäre man zum Ausnüchtern auf den Scheiter­hau­fen gestellt worden, heute verwandelt sich der Zwillingsbruder über Nacht meistens in einen räudigen Kater. Muslime haben es da einfacher, nur an einen, den richtigen Gott zu glauben.

Nun, bei mir war es der Weihnachtsmann. Und zwar nur einer. Wobei, so ganz sicher war ich mir dabei auch wieder nicht: Ich hatte mir den Weihnachtsmann immer weisshaarig und bärtig vorgestellt, mit rotem Mantel und Kapuze. Dieser hier hatte einen blonden Wuschelkopf, trug keinen Bart, auch keinen roten Mantel, dafür eine Krawatte und ein weisses Hemd. Aber er zog einen Schlitten beladen mit Paketen hinter sich her. Ich checkte durch: Schnee­wittchen kam nicht in Frage, wegen der blonden Haare, für King Kong hatte er zu wenig Fell und für Ueli Maurer zu viel. Sicherheitshalber stellte ich mich ihm in den Weg, rutschte dabei dummerweise auf dem Neuschnee aus und legte mich flach, zeigte ihm aber trotzdem meine Hundemarke und blaffte: «FBI, können Sie sich ausweisen?»

Er lächelte nachsichtig und sagte, er sei schon der, für den ich ihn halte, und zeigte mir seinerseits ein Bildchen vom Weih­nachts­mann mit einem Weihnachtsbaum in der Hand, an dem hinten noch Lebkuchenteig
klebte. «Das Passfoto stimmt aber nicht mehr besonders gut mit der Realität überein», bemerkte ich. «Ja, wissen Sie, wenn man weisshaarig und bärtig und mit rotem Mantel und Kapuze durch die Gegend schlurft, dann wird man dauernd von den Kindern aufgezogen: Na, bist du der Zwillingsbruder vom Nikolaus? Haste dich wieder mal verpennt? Der 6. Dezember ist schon lange vorbei. Wohl zu viel Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt gehabt, was? Und wo haste denn deinen Esel? So geht das die ganze Zeit. Das habe ich ja sowas von über. Da dachte ich, OK, optimiere ich ein bisschen mein Outfit und komme halt als Zwillingsbruder von einer Blondine daher. Die Blondinen haben ja heute das Sagen auf der Welt und an die glauben die Leute noch, auch wenn sie vor den Wahlen immer Geschenke versprechen, die sie dann nach den Wahlen nie mitbringen. Die Leute verwechseln Wahlen immer mit Weihnachten, sagen sie dann. Und das mit dem Esel: den hat der Nikolaus patentieren lassen, das Christkind ist einziger offizieller Franchisenehmer und darf sich auch so einen in den Stall stellen. Die Blondinen stellen sich zwar auch Esel in den Stall, aber eigentlich illegal. Drum zieh ich meinen Schlitten halt selbst, aber dann habe ich wenigstens ein Alleinstellungsmerkmal und werde weder mit dem Nikolaus noch mit den Blondinen verwechselt, auch mit dem Black Friday nicht, weil der seine Päckchen mit dem gelben oder schwarzen Auto rumfährt. Gut, die Blondinen haben auch Schlitten, aber die lassen sie eben nicht von den illegalen Eseln ziehen, sondern durch Schlittenhunde fahren.».

Ich erhob mich mühsam aus dem Neuschnee, den ich mir von den Hosen klopfte. Der Schnee war angenehm warm und überhaupt nicht nass. Drei Tage zuvor war in Turin eine Fabrik explodiert, welche Kunstschnee für Schneekugeln herstellte, und die Föhnlage hatte endlich für die heiss ersehnte weisse Pracht über den Alpen bis Bern hoch gesorgt. Die Hotelchefs in Grindelwald waren begeistert, konnten doch Ihre chinesischen Gäste endlich Ski- und Schlittenfahren gehen, sogar im Bikini, dank der angenehmen Temperaturen. Nun, wenigstens war der Weihnachtsmann echt. Wir gingen zum Glühweinstand und bestellten ein Glas, eisgekühlt, denn hier unten war es doch etwas heisser als in Grindelwald.
«Aber mit den Geschenken, das läuft noch, wenn ich Ihren Schlitten so anschaue?». «Nun ja, dank einem Joint-Venture. Eigentlich bringe ich gar keine Päckchen mehr. Das macht ja Zalando unterdessen besser und schneller. Ich hole sie einfach wieder ab und bringe sie zu Zalando zurück, weil die Post zu teuer geworden ist. Die Leute haben ja schon alles und bestellen einfach nur Päckchen, damit zu Weihnachten Päckchen kommen, brauchen das aber gar nicht, was drin ist. Eigentlich ist es ihnen völlig egal, was drin ist, und sie machen die Päckchen schon gar nicht mehr auf. Ich glaube, Zalando schickt auch immer wieder die gleichen Päckchen durch die Gegend. Sehen Sie mal das da, das ist schon ganz speckig und die Adresse wurde schon zig Mal überklebt. Und das da hinten, da kommen ja schon die Würmer raus. Aber trotzdem: Ich liebe meinen Beruf!»

Das hatte schon was für sich. Immerhin war der Weihnachtsmann noch nicht wegdigitalisiert worden. Stellen Sie sich mal vor: Der Weihnachtsbaum nur noch ein Hologramm, das Smartphone simuliert die Kerzen. Die Weihnachtslieder werden durch Roboter auf dem Synthesizer in bit-Dur gespielt und auf der Stereoanlage wiedergegeben. Der Weihnachtsbraten ist aus Tofu. Wenn man in die Plätzchen beisst, lösen sie sich in Pixel auf. Nur die Eltern und Schwiegereltern: alle echt. Wo bleibt da die Stimmung? Wir stiessen noch mal mit eiskaltem Glühwein an.

«Ja, ich liebe meinen Beruf. Wissen Sie, es gibt etwas, was man auch Menschen schenken kann, die schon alles haben. Die das ganze Jahr durch das Leben hetzen auf der Suche nach Sinn. Die dann abgekämpft unterm Baum hocken und den Würmern zuschauen, die aus den Päckchen rauskriechen. Die mache ich glücklich, wenn ich die Päckchen dann wieder abhole. Und Ihnen dabei ein Lächeln schenke.». Sagte der Weihnachtsmann, lächelte mich an, drehte sich um und schritt von dannen.

Im Kunstschnee hinterliess er Spuren. Grosse Spuren von nackten Füssen. Yeti-Füssen.
Johnson & Johnson

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