Ein Kater namens Sidi Brahim

Die Krone der Schöpfung

Ich weiss: die ganze Welt wartet darauf, dass sich endlich, endlich nicht nur Daniel Koch, Donald Trump und Darth Vader, sondern auch Kater Sidi über den Corona-Virus äussert. Tut mir leid, das ging leider nicht so flott: Ich musste erst einen Hamsterkauf tätigen wie alle, aber Hamster waren rar, sie vermehren sich nicht so schnell wie Viren, und als ich den Hamster dann hatte, ich haben ihn Giuseppe genannt, wollte der dauernd fressen, und zwar ausschliesslich Dosen­ravioli, die dann auch noch angeschleppt werden mussten. Am Anfang glaubte ich, dass Dosenravioli den heiss gesuchten Impfstoff enthalten müssen, so begehrt waren die, aber ich glaub, das war nur wegen der einseitigen Ernährungsgewohnheiten der Hamster. Dann hiess es dauernd Hände waschen und in die Armbeuge, nein, seit der neusten Verschärfung der Massnahmen nun in die Kniebeuge niesen, weil die Armbeuge zu nah am Ellbogen liegt, den man neuerdings zum Grüssen braucht. Ich bin auch nicht mehr zwanzig. Wenn sich ein Nieser ankündigt, dann muss ich schleunigst einiges an Gymnastik machen, um biegsam genug zu sein, da runterzukommen, bevor er losgeht. Häufig genug ging er dann hinten raus, aber das sei wenigstens nicht ansteckend. Jedenfalls hat der Bundesrat noch keine Vorschrift erlassen, wie häufig wir die Unterhosen wechseln sollen. Es genügt mir schon, wenn er alles Gesellige verbietet, Feste, Anlässe undsoweiter. Ausser der Fasnacht. Angeblich sei die zwar auch abgesagt worden, aber ich glaube, das Gegenteil war der Fall. So viele Masken habe ich noch nie rumlaufen gesehen. Aber langweilig waren die. Es gab nur ein Motiv in drei Varianten: Alle haben sich als Xi Jingping, Magdalena Martullo Blocher oder Globi verkleidet.

Nun sind auch Versammlungen von mehr als 2.9 Menschen verboten. Als Kleinfamilie mit einer noch nicht ganz erwachsenen Jugendlichen können wir uns da noch knapp
durchschummeln und alle gemeinsam an einem Tisch essen, weil der viereinhalb Meter lang ist, aber wie lange noch? Aktuell sind wir wahrscheinlich noch immun genug: wir essen gerade die restlichen Ravioli auf, die uns der Hamster hinterlassen hat, der sich vorgestern totgehustet hat. Beim Essen gibt es natürlich nur noch ein Thema: Wer wird länger die Welt beherrschen: Putin, Federer oder die globale Angst?

Ja, die Angst. Es ist die reine, nackte Angst, die da herrscht. Solange das nur in China war, war das weit weg. Man konnte noch denken, dass die Schlitzaugen selbst schuld sind, die halt alles fressen, was sich bewegt. Bewegen tut sich aber auch der Mensch, und zwar weltweit in grossen Zahlen. Das ist kein chinesisches Problem. Reisen ist bequem geworden für Viren. Mit der Economy Class für 199 Franken um die halbe Erde, statt sich mühsam über die Seifenstrasse durch alle Toiletten der Welt hangeln. Italien war schon näher. Am nächsten Tag war er schon unter uns: Der Feind hustet mit. Eine Flucht ist nicht mehr möglich. So schnell ging das, das hat alle überrascht, auch mich.

So klein der Virus ist, er ist grösser als wir: er denkt global. Der Mensch: Das gibt es gar nicht. Es gibt nur die Menschen. Es gibt rund 8 Milliarden Individuen oder rund 200 Nationen. Grösser als in Nationen können die Menschen gar nicht mehr denken. Globalität? Das heisst Sachen in China bestellen. Das heisst spanische Tomaten in Südamerika in Dosen zu füllen und in Ghana zu etikettieren. Jetzt in der Krise sieht man, wie es um die Spezies Mensch steht: Der Klimawandel droht ein labiles Gleichgewicht definitiv zu kippen und die Lebensgrundlage der Menschheit1 nachhaltig und für immer zu zerstören. Die Spezies droht auszusterben. Und was tut sie? Mehr fliegen, grössere Autos kaufen und gegen Greta schimpfen und sagen, mehr können wir nicht tun. Dann kommt ein klitzekleiner Virus, der im allerschlimmsten Fall, nämlich wenn er wirklich alle Menschen ansteckt und kein Impfstoff gefunden wird, 2

1Kursrechner: 1 Menschheit = 8 Milliarden Menschen
Prozent der Menschheit zu töten2 droht, wahrscheinlich aber viel weniger3, und er löst ganz nebenbei gewisse demographische Probleme, die die Menschheit, pardon die Menschen trotz aller Intelligenz nicht in den Griff kriegen. Das ist für den einzelnen Betroffenen eine Katastrophe, aber nicht für die Spezies. Und was tut die Menschheit diesmal? Sie gerät in Panik. Sie verzichtet freiwillig auf Demokratie, Grundrechte, Bildung, Kultur, Fasnacht und Stammtisch und alle übrigen Errungenschaften der letzten paar Tausend Jahre, die sie eigentlich zur Krone4 der Schöpfung gemacht haben. Sie ruft Notrecht aus. Sie ergreift drakonische Massnahmen, was nur wegen ein bisschen schmelzender Pole nicht denkbar war. Sie verzichtet auf das, was die Menschheit ausmacht, zugunsten des Individuums. Weil das Individuum nicht sterben darf, die Menschheit darf! Sie verzichtet sogar auch aufs Fliegen, einfach ein bisschen zu spät. Als der Virus nur in China war, wäre wirklich jeder als völlig weltfremd ausgelacht worden, wenn er die Idee geäussert hätte, weltweit alle Flüge mal einfach für die Quarantänefrist von zwei Wochen zu stoppen. Jetzt geht das plötzlich, nur nützt es nichts mehr. Nun, das Klima und Greta könnte das freuen, tut es aber nicht. Dass die Menschen nicht fliegen heisst noch lange nicht, dass die Flugzeuge nicht fliegen. Damit sie ihre Start- und Landerechte behalten, müssen sie nämlich fliegen, und so fliegen sie halt leer herum. Weil: die Zerstörung der Menschheit, die muss weitergehen, auch in der Krise. Damit die Menschen überleben.
Giuseppe Ravioli

20.02 Menschheit = 160 Millionen Menschen
3Das Risiko, vom SUV überfahren zu werden, ist letztlich für die meisten Europäer immer noch grösser
4Auf lateinisch: Corona


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