Ein Kater namens Sidi Brahim

Solidaritäter und -opfer

Fürs Kochen bin jetzt ich zuständig. Nachdem alle Familienmitglieder inklusive der Hamster dazu verknurrt worden sind, zuhause zu bleiben, musste erst mal die Rollenverteilung neu geklärt werden. CHO (Chief Home Officer) ist meine Frau geworden, weil sie schneller beim Nudelholz war, meine Tochter ist nach wie vor für Kompost und Blumengiessen zuständig, was allerdings beides weniger zu tun gab nach der Hamsterschwemme, ich wurde KO- und HR-Manager (Kitchen Organisation bzw. Hamster Ressource Manager) und bin somit für die sinnvolle kulinarische Verwertung der Vorräte zuständig. Daher auch mein Aufruf, Hamster gegen Klopapierrezepte zu tauschen. Das hat übrigens super geklappt, die Solidarität ist einer der grossen Pluspunkte der aktuellen Krise. Wir sind alle Jungen von Angela losgeworden, sie selbst ist mit Günther durchgebrannt, als ich sie zur Feier des Erfolgs in die Pfanne hauen wollte. Macht nichts: Ich habe jetzt eine ganze Sammlung guter Klopapierrezepte. Die beliebte Pizza quattro strati1 geht zurzeit nicht mehr, weil wir kein neues Nudelholz kaufen können. Aber die Lasagne ist bei der Familie beliebt.

Ich steige also in den Keller, um Klopapier dafür hochzuholen. Da ist aber nichts mehr. Auch der Hamsterkäfig ist leer, und im Tresor und in der Gefriertruhe finde ich auch keines mehr. Weil Angela das für uns übernommen hatte, hatten wir versäumt, selbst für Nachschub zu sorgen. Und es war vielleicht

1Vierlagig. Extra dicker und softer Pizzaboden, wie ihn die Amerikaner mögen.
keine so gute Idee, zu jedem verschenkten Hamster eine Rolle mitzugeben. Eine fast leere Rolle hängt im Klo. Zum Kochen reicht das nicht. In Panik stürze ich aufs Velo und in die Migros. Das Palett ist leer. Auf dem Schwarzmarkt hinter der Schule bietet man mir eine angebrauchte Rolle für 200 Franken an, bloss zweilagig, aus grobem Vollkorn-Recyclingpapier und offensichtlich aus dem verwaisten Schulklo gemopst, in welchem die Coronaviren vermutlich Après-Inkubationsparties wie in Ischgl gefeiert haben. Nein Danke! Ich renne zurück in die Migros und raffe mir Schweinsfilet, Brät, Senf, Blätterteig und weitere Zutaten, dann zurück in die Küche und schaffe es gerade noch rechtzeitig, ein Filet im Teig als typähnliches Notessen auf den Tisch zu bringen. Trotzdem bemerkt meine Tochter den Betrug sofort, ist untröstlich und zieht sich schmollend aufs Klo zurück. Als wir sie von dort endlich mit einem improvisierten Tempo-Sandwich herauslocken können, ist gerade noch ein Papier auf der Rolle. Nun ist definitiv Sparen angesagt. Seit einer Woche müssen wir im Haushalt nun gemeinsam dieses eine Papier brauchen. Nächste Woche ist die andere Seite dran. Aber was kommt danach? Wir erinnern uns daran, dass unsere Grossmutter damals in der Krise auf dem stillen Örtchen Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen kennen und schätzen gelernt hat, also abonnieren wir vorsorglich schon mal die Sonntagszeitung und waschen bis zur ersten Ausgabe häufiger die Hände, das ist ja eh angesagt.

Inzwischen bleibt Zeit, über die drängenden Probleme der Welt nachzudenken. Zum Beispiel: Was macht China nun mit seiner Gesichtserkennungs-Software, die dem Staat ein lückenloses Bewegungsprofil aller Bürger aufzuzeichnen erlaubte? Aktuell stellt diese
Software fest, dass jeder gleichzeitig überall ist, was für die Eindämmung eines Virus nicht gerade förderlich ist. Besser als Social Controlling ist allemal immer noch Social Neighbouring. Unsere Nachbarn, ü65, haben gerne Kirschtorte, sollten aber nicht mehr einkaufen gehen. Die Kirschtorte gibt es noch, wahrscheinlich wegen dem corosaroten Zuckergussüberzug. Ich stelle 50 Stück vor die Türe in der Annahme, dass sie sich sicher freuen werden. Offensichtlich tun sie das: drei Tage später revanchieren sie sich mit 20 Kilo Rosenkohl und 10 Kilo Zahnpasta. Gelebte Solidarität. Wenn alle für alle sorgen, wird niemand Not leiden. Der Rosenkohl stammt übrigens aus dem Rosengarten, in dem seit der Schliessung fürs Publikum der Plan Wahlen gilt.

Nun, nach zwei Wochen Notstand auf dem Klo freuten wir uns am Wochenende auf die erste Ausgabe der Sonntagszeitung, auf einen etwas anderen Umgang mit den ewigen Corona-Nachrichten und darauf, Agent Orange einen neuen Anstrich zu verpassen. Auch einen Kommentar zur AfD hatten wir parat. Daraus wurde leider nichts: Ich hatte versehentlich ein Online-Abonnement gelöst. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als auch auf dem Örtchen digital zu werden. Wir streamen nun unsere Geschäftssitzungen.

Übrigens: Wer Angela sichten sollte, soll sich bitte melden. Als Finderlohn winkt eine Tüte Rosenkohl.
Brussel Sprout


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