Ein Kater namens Sidi Brahim

Emanzipation in Zeiten von Corona

Leute: WC-Papier ist out. Kauft Büstenhalter! Es ist absehbar, dass diese bald Gold wert sein dürften. Aktuell können zwar gar keine BH’s gekauft werden, da sie nicht zu den «Gütern des täglichen Bedarfs» gehören, besonders nicht für Männer, aber das könnte sich schon bald ändern. Langsam flacht die Kurve der Corona-Infektionen ab, und schon verlangten die SVP-Bundesräte vorgestern, eine Blitzöffnung der Läden zuzulassen. Wohl in der Hoffnung, dass der Virus vor lauter Überraschung über diese Massnahme quasi in Schockstarre gerät und sich nicht weiter­verbreitet. Dass dieser Effekt wirklich eintritt, da waren sich die beiden Bundesräte dann doch nicht so ganz sicher und wollten daher eine generelle Schutzmaskenpflicht in Läden einführen. Auch für Gastrobetriebe wird eine Wiedereröffnung unter dieser Auflage diskutiert. Nachdem das auswärtige Oster­essen für uns leider ausgefallen ist, haben wir jedenfalls vorsorglich für den Pfingstsonntag im Restaurant Veranda den Fünfgänger gebucht, es gibt zu jedem Gang die passende Schutzmaske dazu.

Dass der SVP-Blitzkrieg gegen Corona zumindest vorerst in die Hosen ging, hat zwei Gründe: Erstens tritt die SVP mit ihrer Forderung selbst nicht ganz konsequent auf: Sogar die beiden Bundesräte, welche das gefordert haben, zeigen sich in aller Öffent­lichkeit nach wie vor ohne Schutzmasken, wobei ich mir bei BR Maurer jeweils nicht so ganz sicher bin. Auch widerspricht diese neue Forderung dem traditionellen Partei­pro­gramm, welches sich bisher konsequent für ein Verhüllungsverbot geäussert hat. Die neue Plakataktion der Partei ist daher sogar parteiintern nicht ganz unumstritten. Zweitens jedoch scheitert die Schutz­masken­pflicht aktuell am Mangel an geeigneten Schutzmasken, was jedoch wiederum für einen Erfolg der SVP-Idee sprechen würde: Sind nämlich alle Läden offen, dürfen aber nur mit Schutzmasken betreten werden, so fällt das Social Distancing in diesen Läden relativ einfach: Da die Kunden die Schutzmasken, die sie zum Betreten des Ladens benötigen, nur im Laden kriegen, bleiben sie einfach draussen und verursachen
kein unnötiges Gedränge im Laden. Man nennt dieses Konzept auch «Deadlockdown».

Henusode: Das Thema Schutzmasken ist nicht vom Tisch, und da ja viele Leute viel Zeit haben - der Lockdown «produziert» täglich rund 50 neue Tote und rund 1900 neue Arbeitslose, schnittmengenfrei - und zumindest die Arbeitslosen, die zu alledem noch zuhause bleiben sollen, müssen sich ja irgendwie beschäftigen. Daher erlebt die Schutzmasken-Heimarbeit aktuell eine grosse Blüte. Die eher südländisch geprägten Modelle scheinen sich trotz hohem Vitamin-C-Gehalt nicht wirklich zu bewähren, wie die Fallzahlen im Süden Europas zeigen. Ostern liegt nahe: Was liegt noch näher, als den eigenen Bestand an ausgedienten, zur Not halt auch den noch in Betrieb stehenden Büstenhaltern bunt anzumalen und in Mono-BH’s umzubauen, die um den Kopf geschnallt werden können? Dann ist man/frau optimal auf die Wiedereröffnung der Läden nach Ostern vorbereitet.

Dabei sind allerdings ein paar technische Aspekte zu beachten. Die Schutzwirkung der so erstellten Schutzmasken hängt ein wenig vom verwendeten BH-Modell ab. Schutz­masken aus durchsichtiger Reizwäsche mit Spitzenbesatz fallen unter die Kategorie FFP0 oder FFP1 und eignen sich nicht gegen Viren. Sie sind, wie schon vor dem Umbau, eher dekorativer als abwehrender Natur. Das übliche Hausfrauenmodell fällt in der Regel unter die Kategorie FFP2, was immer noch keinen genügenden Virenschutz bietet. Gegen Attacken aller Art geeignet, seien sie von Viren ausgelöst oder sexueller Natur, sind Schutzmasken, die aus den BH’s gebastelt werden, welche unsere Grossmütter getragen haben. Sie fallen unter Kategorie FFP3. Diese aus Armeebeständen stammenden und welt­kriegs­tauglichen Panzerbrüste sind zudem meistens weiss und daher am besten bemalbar, jedoch kaum auf dem Schwarz­markt erhältlich. Als FFP4 kategorisiert schliesslich sind die Keuschheits-BH’s aus dem Mittelalter, welche aufgrund der Schliessung der historischen Museen jedoch aktuell gar nicht erhältlich sind. Deren Umbau ist zudem nicht jedermanns Sache: es braucht eine Schlosserausbildung. Auch die Körbchengrösse ist zu beachten: Körbchengrösse A dürfte zum Beispiel bei
ehemaligen SVP-Bundesräten zu knapp bemessen sein und keine richtige Schutzwirkung gegen Sprühnebel aller Art entfalten, auch wenn der Zugriff auf die Kategorie FFP3 in dieser Bevölkerungsgruppe wahrscheinlich noch am besten gewährleistet ist. Und auch die modischen Aspekte sind zu beachten: Wer Osterhasen auf seine Schutzmaske malt, wird Pfingsten schon out sein, und für Porschefahrer eignen sich Pushup’s am besten. Trump trägt offensichtlich am liebsten Wonderbra.

Der Trend ist also gegeben. In die irgendwann nach Ostern wiedereröffneten Dessous-Läden werden sich diejenigen also zuerst hineinbegeben dürfen, welche sich über Ostern optimal ausgerüstet haben, und natürlich sofort alle Bestände aufkaufen. Auch Männer werden in diesen Läden künftig nicht mehr wie Aussätzige behandelt werden. Dass jede Frau künftig eineinhalb, jeder Mann einen halben und jeder Hamster fünf BH’s tragen wird, gibt mit einer einfachen Hochrechnung eine Versiebenfachung des Bedarfs. BH’s werden also knapp werden, ich meine in Hinsicht der Menge, und die Preise werden steigen. Glücklich schätzen werden sich die Schweizer Hausfrauen aus der alt-68-er Generation, welche damals, nicht wie in allen anderen Ländern, ihre BH’s nicht verbrannt, sondern vorausschauend im Luftschutzkeller in Einmachgläsern versteckt haben und nun auf diese wertvollen Bestände zurückgreifen können. Die Gummibänder müssen bei diesen in den meisten Fällen allerdings wohl ersetzt werden, und für Hausstaubmilbenallergiker sind sie nicht geeignet.

Aktuell verharrt die ganze Gesellschaft in einer Art Abwehrhaltung gegenüber der neuen Bedrohung. Aber irgendwann hoffentlich wird die Zeit kommen, in dem wir - Frauen wie Männer – gemeinsam um ein riesiges Feuer stehen und die BH’s verbrennen werden. Wir werden uns dann endlich von den Viren emanzipiert haben. Zum Anfeuern werden wir dabei WC-Papier verwenden.
Alice Schwarzmarkt


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