Ein Kater namens Sidi Brahim

Pedro will nicht sterben

Alles atmet auf, wenn auch noch nicht tief, aber die grösste Gefahr scheint gebannt. Das Leben wird wieder normaler, und nach wochenlangem Genuss von FFP1-Filterkaffee möchte man gerne wieder ein Bier trinken gehen mit den Kollegen. Das geht aber leider nicht immer so ohne weiteres.

In Italien oder Spanien durfte man lange Zeit nur mit Hund vor die eigene Haustür gehen. Bekannte von mir, die in Italien wohnen, haben sich im Frühling eine goldene Nase verdient mit Rent-a-Dog. Das Geschäft lief so gut, dass sie einen Joint-Venture mit der Mafia eingegangen sind, die nachts in ihrem Auftrag Tierheime besucht hat. Ein Musterbeispiel, wie Krisen nicht einfach nur Jobs vernichten, sondern auch neue Jobs schaffen, meistens qualitativ hochwertigere, jedenfalls aus der Sicht der Hunde. Obwohl hierzulande zwar nie ein Hundezwang verordnet wurde, haben sich auch hier viele Leute vorsorglich einen Hund besorgt, damit sie, falls die Massnahmen verschärft würden, weiterhin ungehindert Dinge des täglichen Bedarfs besorgen dürfen. Sozusagen als Gegenleistung für die Dinge der täglichen Bedürfnisverrichtung. Nun hat man eben so einen Nothund und muss den ja dann nicht nur zur Notdurft, sondern auch zum Biertrinken mitnehmen. Das hatte man sich damals nicht so genau überlegt bei der Anschaffung. Und der sitzt dann vielleicht nicht gern im Gartenlokal rum, oder es hat zu viele notgeile Nothündinnen, die auch dort rumhocken, und eigentlich möchte man sich ja aufs Bier konzentrieren und nicht zusehen müssen, wie unterm Tisch eine neue Trottoirmischung zusammengerammelt wird unter Missachtung aller Social Distancing Regeln. Also: der Hund muss weg.
Intelligente Leute haben natürlich dieses Problem vorausgesehen und vorgesorgt. So zum Beispiel ich. Ich habe Pedro, meinen Nothund, gleich von Anfang an anderweitig beschäftigt, damit er noch was anderes zu tun hat als nur sein Herrchen begleiten. Er macht für Amazon Paketzustellungen. Das klappt auch ganz gut. Jedenfalls die Grobverteilung bis zum Metzger nebenan, der so gute Cervelats hat. Die Feinzuteilung zur Endkundschaft muss ich übernehmen, so dass mir dann eh keine Zeit mehr fürs Biertrinkengehen bleibt. Problem gelöst. Aber wahrscheinlich ist es jetzt bald fertig mit dem Job für Pedro. Amazon hat von ihm eine Umschulung als Drohne verlangt, aber er hat leider Flugangst und ich Flugscham. Wir müssen unser Kooperationsmodell also noch mal überdenken und vielleicht einen neuen Job suchen, zum Beispiel als Bierlastwagenfahrer. Ich kümmer mich ums Bier und Pedro ums Lastwagenfahren. Gefällt mir besser als das Ding mit Amazon und ist auch ein Job Upgrade. Für beide.

Nun, das blühende Geschäft der Hundeverkäufer oder -vermieter ist vorbei. Nach den aktuellen Verbraucherstatistiken soll im ersten Maidrittel die Nachfrage nach Hundefutter dramatisch zurückgegangen sein, dafür wird ganz viel Holzkohle gekauft. Den Bekannten in Neapel ist die Nachfrage völlig weggebrochen, und die Tierheime weigern sich, die Hunde wieder zurückzunehmen. Von wegen kaputter Originalverpackung und so. Die Bekannten haben jetzt auf Takeaway-Barbecue umgestellt. Schon wieder neue Jobs, diesmal nicht bessere aus der Optik der Hunde. Auch der Metzger nebenan hat schon so einen komischen Blick, wenn Pedro mit den Amazon-Päckchen kommt. Und die chinesischen Restaurants bieten jetzt ganz unverhohlen traditionelle Küche an: Chow-Chow süss-sauer, Mops Chop Suey, Lassie goreng oder Pekingese mit einem knackigen
Klopapierblattsalat. Alles Gute kommt von China.

Für Pedro kommt ein Jobwechsel ins Grillgeschäft nicht in Frage. Und um in der chinesischen Küche zu arbeiten, hat er die falsche Rasse. Dalmatiner Rohschinken passt da nicht rein. Ausserdem erinnere ich mich noch gut, wie ich als Kind mit der Familie den Film «Giganten» geschaut habe. Dort gibt es eine Szene, in der ein Truthahn zum Thanksgiving auf dem Tisch landet, zum grossen Entsetzen der Kinder, als diese feststellen, dass das ihr heissgeliebter Pedro ist, der da so lecker duftet. Auch mich hat diese Szene damals mehr entsetzt als belustigt.

Übrigens: Schlachthöfe gelten als systemrelevant. Auch wenn die halbe Belegschaft Corona hat, wird weitergeschlachtet. Weil die, die schlachten, nur billige Polen und Rumänen sind. Nicht teurer als die Schweine und Rinder. Alles einfach Fleisch. Nicht systemrelevant, das heisst, darf geopfert werden. Fleischessen hingegen ist systemrelevant. Also schau zu, dass du nicht der bist, der im Sandwich steckt, sondern der, der reinbeisst.

Pedro will nicht sterben. Während ich mein Bier austrinke, macht er einen grossen, systemrelevanten Haufen unter den Nachbartisch. Den darf ich jetzt also nicht kaputtmachen. Der muss jetzt gerettet werden und weiterlaufen. Als wir gehen, kommen schon die nächsten Kunden und kümmern sich darum.
Ciao Chow-Chow


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