Ein Kater namens Sidi Brahim

Genscherenschnitte

Ich habe eine Crispr-Genschere zum Geburtstag gekriegt.

Eigentlich hätte ich nicht überrascht sein sollen. Auf die Frage, was ich mir zum Geburtstag wünsche, hatte ich geantwortet: Ich will von hübschen, glücklichen Menschen umgeben sein und mich mal wieder hand­werklich-kreativ betätigen. Etwas ratlos bin ich trotzdem, und überfordert: So ein Werkzeug eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, bürdet mir aber ebenso eine grosse Verant­wortung auf. Im Gegensatz zu einem Schraubenzieher oder Hammer hat es auch einen moralischen Aspekt, wobei zugegebenermassen auch Schraubenzieher und Hammer moralisch fragwürdig eingesetzt werden können.

Mit so einer Genschere kann ich mir ja den idealen Menschen zurechtschneidern. Zum Beispiel die ideale Ehefrau. Die mir die Pantoffeln ans Sofa bringt, nicht quatscht, wenn ich Zeitung lese, mich mit Begeisterung bekocht und immer meiner Meinung ist. Ich müsste nur das Emanzipationsgen finden, das sich in den letzten Jahrzehnten still und heimlich ins weibliche Genom einmutiert hat, und rausschneiden. Meine reale Frau hatte aber etwas dagegen, als ich sie fragte, ob ich etwas an ihr rumschnippeln dürfte. Auch ist das ziemlich Arbeit: Man muss bedenken, dass so eine bereits ausgewachsene Ehefrau aus ziemlich vielen Zellen besteht, und in jeder dieser Zellen diese verfluchte DNA steckt, die es zu bearbeiten gilt. Ich hatte ein gewisses Verständnis, dass sie nicht so lange stillsitzen wollte. Ausserdem, muss ich zugeben, weiss ich gar nicht so genau, wo dieses Gen sitzt. Und wenn ich dann daneben schnippel, wird die Ehefrau ja vielleicht zur Xanthippe, blökt oder kocht nur noch Porridge. Das Risiko war mir zu gross. Meiner Frau einfach eine einzige Zelle zu klauen, zum Beispiel vom Kamm oder von der Zahnbürste, zu bearbeiten und dann im Reagenzglas und so weiter zur idealen Ehefrau wachsen zu lassen, wäre vielleicht weniger Arbeit gewesen, aber solange wollte ich nicht warten. Ich wäre dann schon ein Greis, bis sie ins heiratsfähige Alter käme. Auch war mir das Risiko zu gross, dass mit diesem Ausgangsmaterial ein Wesen mit Haaren auf den Zähnen herauskäme. Ausserdem hätte meine reale Ehefrau unangenehme Fragen gestellt. Und wäre mit einem geklonten George Clooney durchgebrannt.

Vielleicht sollte ich auch weniger eigennützig, sondern grösser denken. Zum Beispiel mir überlegen, wie ich die Welt verbessern könnte
mit so einer Schere. Auch Männer haben durchaus Potenzial für Verbesserungen. Gut, gegen Spiegeleireste im Bart oder Bartstoppeln im Lavabo lässt sich gentechnisch nicht viel unternehmen, und zum Anschneiden von Zigarren taugt die Genschere auch nicht. Die Genitalien abschneiden, wovon manche radikalen Emanzen träumen, ist für die Spezies nicht nachhaltig. Aber statt den Frauen das Frauenemanzipationsgen rauszuschneiden, könne ich es den Männern ja auch einsetzen. Anstelle des Kriegs- oder Porschegens. Die Welt wäre in ein, zwei Generationen eine bessere und hätte wieder bessere Luft. Im Idealfall. Wenn diese neuen Männer dann allerdings so viel Staubsaugen würden, wie sie früher Porsche gefahren sind, ist das auch nicht so sicher. Und wenn die Operation schief geht, dann würden die zwar vielleicht nicht mehr Porsche fahren, dafür aber auch nachts, im Frühling und beim Jahreskonzert des Männerchors mit den Laubbläsern ihre Männlichkeit beweisen. Vielleicht sollte ich, statt laienhaft selbst einzugreifen, besser auf die natürliche Fähigkeit der DNA setzen, sich selbst an veränderte Umgebungsbedingungen anzupassen: Seit Greta gibt es immer mehr Männer, bei denen das Porschegen zu einem Laubbläsergen mutiert ist. Und es bleibt die Hoffnung, dass diese vielleicht noch nicht ganz glücklich abgeschlossene Mutation uns in Zukunft mehr Staubsauger oder, wer weiss, auch wieder mehr Panflötenspieler bescheren wird.

Sorgen macht mir, dass die Schweizer Bevölkerung schrumpft. Gäbe es wohl mehr Schweizer Babys, wenn die Schweizer Frauen drei und die Schweizer Männer keine Hände hätten? Sollte ich dort ansetzen? Oder unheilbare Krankheiten ausrotten? Die völlig überlasteten Notaufnahmen von Männerschnupfenpatienten zu befreien, musste ich mir aus dem Kopf schlagen, da Männerschnupfen offensichtlich auf dem gesamten Y-Chromosom codiert ist. Aber Krebs könnte heilbar werden dank Crispr. Aber auch hier stellen sich wieder moralische Fragen: Wir betrachten die Heilung von Krebs immer aus der Perspektive des Menschen und fragen uns nie, wie es dem Krebs dabei geht. Auch der möchte geheilt werden. Und was macht der geheilte Mensch mit der gewonnenen Lebenszeit? Noch mehr Laubblasen? Noch mehr Babys? Sich langweilen? Noch länger Angst vor dem Tod haben? Rumschnippeln? Kann die Genschere die Angst vor dem Tod heilen?

Man kann die Genschere natürlich auch für das Gegenteil der Optimierung der Maschine Mensch einsetzen. Unsere Welt krankt daran, dass Abnormalitäten durch pränatale Triage mehr und mehr ausgerottet werden. Die
Menschen werden immer gleicher – und immer intoleranter, wenn mal jemand anders aussieht. Behinderte sieht man kaum mehr, die müssen in Heimen versteckt werden, da sie in der Öffentlichkeit zu sehr irritieren. Früher hörte man gelegentlich Leute öffentlich unflätiges Zeugs sagen. Man wusste: Aha, Tourette-Syndrom! Und wandte sich einfach ab, wenn man die Ohren voll hatte. Heute kennt und toleriert man das gar nicht mehr und steckt diese Leute kurzerhand ins Weisse Haus! Auch Menschen anderer Hautfarben leiden unter dieser Stigmatisierung. Haut, die unter der Sonne nicht rot wird und Blasen wirft, wird eigenartigerweise von vielen als Behinderung empfunden. Nicht einmal schief stehende Zähne sieht man mehr, seitdem alle Teenager präventiv hinter eisernen Mundvorhängen versteckt werden. Auch im ganz Privaten gibt es diese Intoleranz gegen Abweichungen. Sie begegnet mir zum Beispiel manchmal morgens früh, besonders wenn es am Vorabend zu lange lustig war. Der Fremde im Badezimmer begutachtet mich dann äusserst vorwurfsvoll, raunzt mich an, ich hätte auch schon besser ausgesehen und verlangt den Eintrittspreis für den Zoo zurück. Dabei ist der Affe ja selbst noch nicht einmal rasiert und gekämmt und hat lange, ungepflegte Nasenhaare. Solche Leute vergessen gerne, dass es diese kleinen Unregelmässigkeiten oder Andersheiten sind, die Menschen reizend machen. Also warum nicht die Genschere so einsetzen, dass es wieder mehr schiefe Nasen, Spreizfüsse und Zahnlücken gibt? Die Welt in ein Vanessa-Paradies verwandeln?

Nun, alles Theoretisieren nützt da nichts, wenn man das Handwerk noch gar nicht versteht, sagte ich mir. Also üben. Heimlich entführte ich das Plüschschwein Günther, das lange das liebste Familienmitglied unserer Tochter gewesen war, aber seit ein paar Jahren in einer Ecke verstaubte, und begann zu schnippeln. Zugegeben, ich bin handwerklich nicht so begabt und brauchte neben der Genschere auch den Hammer und zuletzt den Schraubenzieher, um den Kopf im Halsbereich wieder anzuschrauben. Ich hatte leider nur lange Schrauben da, die stehen jetzt halt noch etwas vor.

Günther hat jetzt blonde Locken und blökt durch eine Zahnlücke. Und manchmal schaut er mich so komisch an. Die Schere habe ich danach weggelegt. Muss erst mal nachdenken, wie ich weiterfahren soll. Nur zum Schneiden der Nasenhaare brauche ich sie manchmal. Hoffe, das hat keine Nebenwirkungen.
Frankenschwein


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