Ein Kater namens Sidi Brahim

Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen, fliegen Fliegen Fliegen nach

Am letzten Sonntag stürzte ich in eine ernsthafte Krise: Bisher war ich es gewohnt, bei Volksabstimmungen immer bei mindestens 80% der Vorlagen zu verlieren, d.h. in der Minderheitsposition zu sein. Das gab einem immer so ein gutes Gefühl, so eine Rebellengänsehaut und die Sicherheit, dass eben doch noch alle anderen die Arschlöcher sind. Am vergangenen Sonntag war ich bei 80% der Vorlagen in der Mehrheitsposition. Beunruhigt stellte ich mir erstmals die Frage, ob ich nun alt geworden sei, ob ich zum Konformisten mutiert sei oder einen Gehör-, Leber- oder Dachschaden habe oder Hühneraugen, alles Faktoren, welche die politische Meinung auf unerwünschte Weise beeinflussen könnten. Vorsichtshalber habe ich mich beim Arzt zum längst fälligen Generalcheck angemeldet und mein Parteibüchlein konsultiert: Nein, ich war nicht über Nacht Mitglied der wählerstärksten Partei geworden.

Den Schweizern war ich geradezu dankbar, dass sie zumindest bei einer Vorlage anders gestimmt haben als ich, wenn auch nur hauchdünn, so dass ich doch noch ein bisschen das wohlige Gruseln des Verlierers fühlen durfte: bei dem Kredit für neue Kampfflugzeuge. Da mit dem Alter auch die Schwerhörigkeit zunimmt, kann ich diesen Entscheid mit Gelassenheit tragen. Auch wenn ich ihn nicht ganz verstehe. Ich habe zu einer Zeit als Rekrut gedient, als noch die Devise galt: Um den Krieg zu gewinnen, muss das Material schwer, unpraktisch und grün sein, und den Krach haben die Stimmbänder des Feldweibels gemacht, nicht die Flugzeuge. Man hat den ganzen Tag riesige grüne Holzkisten rumgebuckelt, die darin enthaltenen Teile wie Grammophone, Waschtrommeln, Gamellen, Hand- und Fussgranaten und Briobahnen ausgepackt, aufgebaut und wieder eingepackt und am Abend den Krieg so richtig in allen Knochen gespürt. Das war noch währschaftes Handwerk! Das ist heute anders. Heute reicht es nicht, wenn es schwer, unpraktisch und grün ist, es muss zusätzlich laut sein, ein LED-Dashboard haben und dieses muss
blinken1. Und das kostet entsprechend. Aber was will man nur mit den neuen Kampfflugzeugen anstellen?

Die Unterstützung der Flugzeuge durch die Parteien, welche im Namen noch einen religiösen Anteil tragen, kann ich halbwegs nachvollziehen: Das arschbackenerbebende Vibrieren der Triebwerke im Steigflug wird wahrscheinlich der religiösen Ekstase eines Priesters beim gemeinsamen Absingen des Chorals «näher mein Gott zu dir» zusammen mit jugendlichen Zölibatsvollzugshelfern nahekommen. Bei den anderen Parteien ist die Motivation weniger klar. Bei der SVP stelle ich mir vor, dass die Kampfflugzeuge als Ultima Ratio im Krieg gegen Corona eingesetzt, also die gefährlichen fremdländischen Aerosole aus der Luft mit Morgensternen beschossen werden sollen. Oder es handelt sich um eine Referenz an die Stammwählerschaft der Bauern: Die Schweiz sitzt in Europa wie ein saftiger Kuhfladen mitten auf einer Wiese. Zu diesem Idyll gehören natürlich auch die Fliegen. Bei der FDP ging die Unterstützung wohl vor allem von den Besitzern der heimischen Eisen- und Gummiwarenmanufakturen aus, die sich erhoffen, Schleudersitzhebel, Scheiben­wischer und Scharniere für die Panzerraupen zu den neuen Jets beitragen zu dürfen, welche die beauftragte Jetherstellerin aufgrund einer Gegengeschäfts-Vertrags­klausel in der Schweiz einkaufen muss. Das gibt so ein gewisses «Swiss-Made-Feeling». Das tut gut, kostet aber natürlich auch. Daher würde ich dringend die Anschaffung amerikanischer Jets empfehlen. Die sind zwar auch nicht billiger als die europäischen, haben aber geringere Folgekosten für unsere Armee: Dank der Fernsteuerung der Jets durch die National Security Agency kann sie sich die aufwändige Ausbildung der Piloten ersparen. Die sympathische Fanny Cholet, die sich neben Frau Amherd so für die neuen Jets stark gemacht hat, kriegt dann leider auch keinen Job in der Kita für die neuen Küken. Sie wird aber nicht arbeitslos, da es ja noch Pflegerinnen für die pensionierten F/A 18 braucht. Offen bleibt nur die Frage, was passieren würde, wenn die Schweiz Amerika den Krieg erklären würde, zum Beispiel wegen ungerechter Importzölle auf Schweizer Lochwaren wie Emmentaler, Reduit­komplett-

1Aus dem Anforderungskatalog des VBS für den neuen Kampfjet
lösungen und Chiffrier­maschinen. Würden unsere Jets dann mit einer digitalen Wegflugsperre von Meiringen aus dem Krieg zuschauen? Oder selbständig starten und das Bundeshaus und Ballenberg bombardieren? Aber man kann vermutlich getrost davon ausgehen, dass die amerikanische Regierung nicht so grössenwahnsinnig wäre, unser Kriegsangebot überhaupt anzunehmen. Oder wenn doch, würde der amerikanische Präsident, wenn es noch derselbe ist wie heute, die Bomben an unseren Jets eher über Schweden abwerfen lassen. Aber aktuell ist Amerikas Präsident eh grad anders beschäftigt: Er hat Corona. Und die Amerikaner fragen sich gebannt, was das für Folgen für ihr Land hat: Ist das der Anfang der Demokratie? Oder ist das das Ende von Corona?

Nun ja, das Volk ist dem Bundesrat und dem Parlament hinterhergeflogen: wir kriegen neue Flieger, ob wir nun damit im Krieg fliegen oder im Frieden Krieg spielen. Schade nur für die 6 Milliarden, die allein die Anschaffung kostet und mit denen man sich so viele andere Sachen hätte leisten können. Zum Beispiel hätte jeder Schweizer und jede Schweizerin zwei Monate lang einmal täglich im McDonalds essen können, oder wir hätten uns zwei zusätzliche Wochen Lockdown leisten können. Wir hätten jeder Schweizer Stubenfliege eine Fliegenklatsche schenken können. Das Geld hätte auch im AHV-Ausgleichsfonds Platz gehabt und der Klimajugend statt noch mehr Kondensstreifen etwas mehr Sicherheit auf eine Rente gegeben. Oder wir hätten sämtliche Flüchtlinge aus Moria über sieben Jahre lang in Viersternhotels unterbringen können. Vorausgesetzt, sie sind bereit, in einem Kuhfladen zu leben.

Übrigens: Der Arzt hat bei mir nur einen Mangel an Vitamin F-35, nein, B-12 diagnostiziert, sowie Flugscham.
Lord of the Flies


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