Ein Kater namens Sidi Brahim

Kleiner Exkurs über den Export der präjustiziablen Arbeitsplatz­vernichtung

Meine Tochter kocht gerne. Das freut uns natürlich sehr, lassen wir uns doch gerne von Ihren Kreationen verwöhnen. Was uns weniger freut, sind die elektronischen Geräte, welche während des Kochvorgangs auf den mehr oder weniger heissen Herdplatten rumstehen und für Sound und Unterhaltung sorgen, mit denen Sie Rezeptideen mit Freundinnen live austauscht und auf denen man nebenbei noch die Hausaufgaben erledigen kann. No Risk - no Fun! Auf diese Weise haben wir der geplanten Obsolenz schon öfters ein Schnippchen geschlagen, mit ungeplanter Obsolenz. Ein Toaster ist so schon mal Hopps gegangen, er hat sich die Füsse verbrannt. Auch der Laptop hat letzthin Bratendüfte im Haus verbreitet, schuld daran waren aber nicht die Tofuburger, sondern die quadratischen Gleichungen. Die neuen Bluetooth-Kopfhörer machten sich als Suppeneinlage gar nicht so schlecht. Das Fairphone suchten wir erst in der Abwaschmaschine und im Backofen und fanden es dann im glücklicherweise bereits toten Toaster.

Man könnte diesen Umgang mit digitalen Hilfsmitteln auch Arbeitsplatzvernichtung nennen. Diese wird von den Linken und Grünen angeblich systematisch betrieben und von den bürgerlichen und wirtschaftsnahen Kreisen systematisch bekämpft. Unsere Tochter spielt die Linke, wir versuchen zu retten, was zu retten ist und sind somit bürgerlich. Das Problem ist jedoch grösser und paradoxer. Wenn wir ehrlich sind, hat doch jeder von uns, egal ob links oder rechts, wenn er vom Chef, flackernden Neonröhren, Papierstau, Betriebssystemupdates und lahmen Internetverbindungen genervt wurde, auch schon mal Al-Quaida-Gedankenspielchen mit seinem Büro gemacht. Und früh morgens mit seinem Wecker auch tatsächlich schon praktiziert. Arbeitsplatzvernichtung gehört also zu unserer mentalen Kultur. Die böse Arbeitsplatzvernichtung wird trotzdem als Argument gegen alles eingesetzt. Gegen das CO2-Gesetz, gegen höhere Steuern, gegen Corona-Lockdowns, gegen Mindestlöhne, gegen den gesunden Menschenverstand und gegen keine Löcher in den Socken. Auch bei den kommenden Abstimmungen kann man sie wieder mobilisieren. Gegen das Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten
kann man gleich dreimal die Arbeitsplatz­sicher­heit in den Schützengraben stellen: Einmal braucht es Arbeitsplätze, um Waffen herzustellen, zum zweiten gehören diese Waffen zur mobilen Arbeitsplatzinfrastruktur der kriegsführenden Armeen, und drittens senken die Waffen die Arbeitslosigkeit im Volk, gegen das sie eingesetzt werden. Vorausgesetzt, die Waffen werden nicht engstirnig eingesetzt, sondern auch gegen Zivilisten.

Etwas schwieriger nachzuvollziehen ist das Argument der Arbeitsplatzsicherheit gegen die Konzernverantwortungsinitiative. Wenn man den Initiativgegnern glaubt, müssen ja mit der Annahme der Initiative sämtliche KMU Juristen anstellen, um Klagen abzuwehren: Klagen wegen Mehlstaublungen gegen den Bäcker, wegen Tierschutzverletzungen gegen den Metzer, wegen Erniedrigungen beim Arbeitsplatz gegen den Fliesenleger und wegen Verkehrsregelverstössen gegen den Velokurier. Auch wir müssten wohl so einen Juristen anschaffen, um unsere Tochter weiterhin kochen lassen zu können, ohne eine Klage wegen Kinderarbeit zu riskieren. Es werden also massenhaft Arbeitsplätze für Juristen in der Schweiz geschaffen. Aber die zählen wohl nicht, nur die Kinderarbeitsplätze in Bangladesch, was für die hohe moralisch-ethische Gesinnung der Initiativgegner spricht.

Als der Bundesrat vor kurzem endlich mal ein Signal setzen wollte, dass er die moralische Landesverteidigung auch ernst nimmt und nicht einfach den Volksinitiativen überlässt, und auf Anraten des UNO-Sonderbericht­erstatters für Menschenrechte den Export von fünf besonders problematischen Pestiziden verboten hat, wurde es noch etwas unlogischer. Auch hier ging nämlich sofort der Aufschrei aus der Chemischen Industrie los, dass damit Arbeitsplätze gefährdet werden, ungeachtet der Tatsache, dass es gar keine Arbeitsplätze in der Schweiz gibt, an welchen diese Substanzen hergestellt werden. Denn sie wurden gar nie oder werden seit Jahrzehnten nicht mehr in der Schweiz hergestellt, weil verboten. Es gibt sie also gar nicht bei uns, und damit können sie auch schlecht exportiert werden. Darum funktioniert so ein Exportverbot auch ganz reibungslos, dachte wohl der Bundesrat, und sieht irgendwie auch besser aus, als den Hunden zu verbieten, beim Autofahren Whiskey zu rauchen und mit dem Schwanz zu wedeln, statt den Scheiben­wischer zu betätigen, oder die Pfoten vom Steuer zu
nehmen, um am Smartphone Filmchen mit läufigen Hündinnen anzuschauen. Oder dem Bundesrat zu verbieten, Entscheide von grosser Tragweite zu fällen. Aber mit den Arbeitsplatzrettern hat der Bundesrat nicht gerechnet. Die argumentieren auch dort lautstark, wo sie aus der Sicht von natür­lichen Personen eigentlich arbeitslos sind.

Die Arbeitsplatzretter sind jedoch keine natürlichen Personen, sondern juristische Personen. Genauer: Präjuristen, die im Auftrag der Syngenta der Arbeitsplatz­rettungsarbeit nachgehen. Syngenta ist nämlich ein Konzern, der seine Verantwortung bereits wahrnimmt, jedenfalls als globaler Arbeitgeber von Präjuristen. Diese argumentieren also mit dem präjustiziablen Charakter des Verbots. So ein Exportverbot könnte künftig auch für andere schädliche Pestizide ausgesprochen werden, die hierzulande noch hergestellt, aber aufgrund der Folgeschäden an Menschen und Umwelt nicht eingesetzt werden dürfen. Die kann man gewinnbringend in Drittweltländer exportieren. Auch hier wieder mit dem dreifachen Argument der Arbeitsplatz­sicherung, wie bei den Waffen. Also ein überraschender moralischer Sieg mit 3:1 für die Arbeitsplatz­sicherer und gegen die Arbeitsplatzvernichter.

Bei uns zuhause gibt’s weder Post- noch Präjuristen. Nur Befürworter der beiden Initiativen. Wir sind damit ein letztes Biotop (oder Sumpf) der Arbeitsplatzvernichter! Zwar waren die Retter der Arbeitsplätze auch bei uns vor kurzem noch mit 2:1 in der Mehrheit. Bis meine Frau das Bügeleisen in die Waschmaschine gesteckt und damit gleich zwei Arbeitsplätze vernichtet hat. Seither wirkt sie entspannter, sie muss sich um weniger Arbeitsplätze kümmern. Und ich überlege mir auch gerade, wie ich den Arbeitsplatz des Feucht­gebiet­facility­managements loswerden könnte.
Sissifussel


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