Ein Kater namens Sidi Brahim

Lokuspokus

Der weissliche Ausschlag, der sich über das ganze Gesicht verteilte, sah furchterregend aus. Ich lief aus dem Bad, um sofort einen Arzttermin abzumachen, stürzte mich in Jacke und Schuhe und wollte gerade das Haus verlassen, als es klingelte. Vor der Tür stand eine Frau und gratulierte mir: Unsere Familie habe den Pro-Natura-Preis für die beste Renaturierung von heimischen Fliessgewässern gewonnen.

Hoppla: War meine Pensenreduktion im Rahmen des Feucht­gebiet­facility­manage­ments, die ich präventiv in der Annahme der Annahme der Konzern­verantwortungs­initiative beschlossen hatte, um allfälligen Gewässerverschmutzungsklagen zuvor­zukommen, zu weit gegangen? Ich hatte mich schon gewundert, dass die Tochter so häufig ihre Freundin besuchte und immer so frisch geduscht roch, wenn sie heimkam. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich nicht krank war. Lediglich eine Oberflächenbehandlung der häuslichen Feuchtbiotope war wieder mal angesagt. Mission: Nächstes Jahr keinen Preis von Pro Natura zu erhalten. Ich dankte und nahm den Preis, einen goldenen Becher, trotzdem entgegen und begab mich ins Bad.

Tatsächlich konnte ich den Arzttermin absagen. Der Ausschlag war verschwunden, nachdem ich den Badezimmerspiegel von allen Zahnpastaspritzern befreit hatte. Das war die positive Seite. Negativ zu Buche schlagen musste ich die Tatsache, dass mein Haupthaar offensichtlich seit der letzten Badezimmer­reinigung nicht mehr geworden war. Und dass der blitzblanke Spiegel irgendwie nicht mehr ins Badezimmer­ambiente passte. Unterhalb des Spiegels entdeckte ich unter einer Kruste etwas, was ich zunächst für ein altrömisches Kaldarium hielt, der herbeigerufene Archäologische Dienst konnte es aber mittels C14-Datierung der Kruste als hundsgewöhnliches Porzellan-Lavabo Baujahr 1958 datieren. Nachdem ich
dieses vom Schilf, Algen, Gummientenflott und diversen Schuppentieren in abenteuer­lichsten Formen befreit hatte, versuchte ich, es wieder seiner Zweckbestimmung zuzuführen. Röchelnd ergoss sich bräunlicher Schlamm aus einer zweifelhaften Röhre in die Schüssel - was mich unweigerlich an die letzten Badeferien in Italien erinnerte - wollte aber nicht ablaufen.

Also verstopft. Die Saugglocke musste her. Ich musste ein halbes Dutzend Mal kräftig pumpen, dann löste sich der Pfropfen. Aus dem Hades stieg ein Gebilde aus Zahnseide, Haaren (ah, da sind sie!) und Milchzähnen auf, in deren Mitte zwei Frösche nisteten und erschrocken zu mir hochschauten. Behutsam brachte ich die hoffnungsfrohe Kleinfamilie mit ihrem Nest und dem Laich an die Aare runter, ich wollte Pro Natura doch nicht zu sehr verärgern.

Das ist mir misslungen. Sogar Greenpeace kündigte meine Mitgliedschaft auf, nachdem ich die Badewanne gereinigt hatte. Tut mir leid, ich finde den Regenwald was Tolles, aber bitte doch nicht überall. Nach der Rodung brachte ich den Eigen- und Fremd­scham­haarteppich, auf dem er gesprossen war, zum Rezyklieren in eine Ökospinnerei, und den Alligator, dem ich meine lange vermisste Zahnbürste entwinden konnte, ebenfalls an die Aare, wo er umgehend eine Frosch­kleinfamilie ausrottete und danach gurgelnd im Wasser versank: Bei uns hatte er ja nicht schwimmen gelernt.

Zurück ins Bad. Der Schrank mit den Badetüchern und den tausendundein Geheimnissen der weiblichen Schönheit war dran. Beziehungsweise das, was sich darunter tummelte. Sie waren fruchtbar und nahmen überhand und wurden viel und überaus zahlreich, so dass das Bad von ihnen voll war. Zum Glück wusste ich aber, dass herum­marodierende Staubkatzen ihren Schrecken verlieren, wenn man ihnen Namen gibt und mit ihnen spricht. Das funktionierte leider nicht: Saddam und Adolf verfolgen mich noch heute bis in meine Träume.
Es blieb das Pièce de Résistance eines jeden Haushalts. Das Horrorkabinett. Die Annahme­stelle Biomasse. Sammelbecken für Posaunenvirtuosen, Sitz- Steh- und Handstandpinkler, Elefantendompteure und durch brennende Reifen springende Mopse. In das nicht einmal Nahkampfexperten bewährter Facility Management Firmen ohne Zirkus- und Gefahrenzulage einzudringen wagen.

Wer wagt es, Rittermann oder Knapp,
zu tauchen in diesen Schlund?
Seine schwarzen Tiefen zogen hinab
schon manches stinkende grausliche Pfund.

Beherzt und neoprengeschützt trat ich vor,
bewaffnet mit Bürste sowie Dynamit,
und stürzte laut fluchend ins Höllentor,
gewaltige Fluten rissen mich mit.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt.
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
und schwarz aus dem weißen Schaum,
klafft hinunter ein gähnender Spalt,
grundlos, als gings in den Höllenraum.

Braun wimmelten da, in grausem Gemisch,
zu scheußlichen Klumpen geballt,
Binden, Papier, und was dannzumal frisch,
doch dann durch der Zähne Gewalt
zerstückelt, verschlungen, gedrückt in den Darm,
gepresst, dann entlassen und ganz ohne Charme.

Doch bald schon besiegte die Bürste den Schlund,
und er glänzte und schillerte bis an den Grund.

Da klingelt' es wieder an der Türe.
Mit wütend funkelnden Augen entriss
mir den goldenen Becher von Pro Natura
die Frau und warf ihn hinein in den Fluss.
Dort sank er hinab, verlor eine Blase
und sitzt nun dem toten Reptil auf der Nase.

Mission erfüllt.
Der Taucher ohne Furcht und Adel

>bilder
>home >archiv