Ein Kater namens Sidi Brahim

Cannibal Farm

Bald hätte ich Angela nicht wiedererkannt, die Hamsterin, die uns im März entlaufen war. Mit der blauen Schutzmaske, die viel zu gross für sie war und deren Schlaufen sie deswegen an den Hinterbeinen hatte einhängen müssen, war kaum etwas von ihr zu sehen. Nur ein blauer Schatten, der an mir vorbeihuschte.

Wo sie so lange gewesen sei, fragte ich. Auf Verwandtenbesuch im Norden. Auf der Durchfahrt in Hamburg habe sie folgendes erlebt: Dort habe eine Schulklasse ein Schlachtkalb auf seinem Lebensweg begleiten wollen, um sich mit dem Thema Nutztier­haltung einmal direkt auseinanderzusetzen und dem Fleisch einen Namen zu geben. Dann wären aber militante Tierschützer auf den Plan getreten, hätten dem Kalb mit Freitagsdemonstrationen und viel Gedönse das Leben gerettet und dafür mit einem Shitstorm diesem Projekt und damit zahllosen anderen Kälbern, die nicht das Glück hätten, einen Namen zu kriegen, nicht mal einen so albernen wie Goofy, den Todesstoss versetzt. Das Ganze fand bloss hundert Kilometer entfernt statt von ihrem eigentlichen Ziel ihrer Reise. Nicht wirklich zu einem Ver­wandten­besuch sei sie nämlich unterwegs gewesen, sondern zu einer Beerdigung. Sie hatte in den Sommerferien an der Nordsee eine Sippe Nerze kennengelernt und mit ihnen Freundschaft geschlossen. Aber jetzt seien alle tot, 17 Millionen Nerze seien in Dänemark erst in Käfigen gehalten und dann vergast worden, mehr als Juden im zweiten Weltkrieg. Kein Mucks von irgendeinem Tierschützer sei zu hören gewesen! Weil kein einziger dieser Nerze einen Namen gehabt habe. Die Menschen unterschieden zwischen Nutztieren ohne jegliche Individualität, in ihren Augen hätten diese häufig sogar noch weniger Wert als Dinge – wenn ein Auto ein Reh anfahre, pardon, ein Reh ein Auto anrenne, dann sei auch immer der Schaden am Auto die grössere Katastrophe – und Kuscheltieren wie Hunde und Katzen, denen dann manchmal schon fast übermenschliche, ja göttliche Verehrung zukomme. Der Kuschelfaktor von Nerzmänteln sei sogar noch höher, ausserdem seien diese schon gefüttert, wollen nicht Gassi gehen und durch Pfützen laufen und seien 100% stubenrein. Daher hätten Nerze für Menschen sogar einen noch höheren Wert als Hunde und Katzen, aber nur in der transzendentalen, verding­lichten Form. Viele Tiere seien für uns Menschen erst dann etwas wert, wenn sie zu Dingen geworden seien. Aber, sie schaute mich vielsagend an, das werde sich rächen. Wie sie das meine, fragte ich.
Ob ich «Farm der Tiere» von Orwell gelesen habe, fragte sie ihrerseits. Und ob ich mir vorstellen könne, zu welchem Zweck sich eine Armee von 17 Millionen toten Nerzen aus ihren Gräbern erhoben und den «Train to Wuhan» bestiegen habe? Du meinst, sagte ich, der Kampf der Zombie-Nerze gegen die Zoombie-Nerds, zu denen wir Menschen in diesem Jahr geworden sind? Sie sei sich hoffentlich bewusst, dass die Menschheit gegen 8 Milliarden Individuen umfasse, die Nerze also keine Chance auf eine Weltherrschaft hätten? Erstens, antwortete sie, sei das ja die grösste Schwäche von uns Menschen, dass wir so viele seien. Wir würden uns alle als Individuen fühlen und seien gar nicht zu kollektivem Denken und Handeln fähig, ausser wenn es darum ginge, gemeinsam gegen Artgenossen vorzugehen oder auf den Abgrund zuzulaufen. Und zweitens hätten die Tiere bereits die Herrschaft in wichtigen Ländern der Welt übernommen, ohne dass es die Menschen bemerkt hätten. Wie das? erwiderte ich. Sie wolle doch hoffentlich nicht behaupten, dass im Bundesrat sieben Geisslein sitzen? Sie antwortete: Nein, zwei von ihnen sind Schildkröten und der Rest Wölfe, welche Kreide gefressen haben. Deutschland werde von ihrer Cousine und Namensvetterin geführt, ob ich ihre Backen schon mal genauer angesehen habe, und sogar die ganze Weltherrschaft sei im Frühling vorübergehend in den Pfoten der Hamster gelegen, ein verzweifelter Versuch ihrer Namensvetterin, Deutschland wieder gross zu machen, grösser jedenfalls als Amerika.

Aber auch Amerika sei seit vier Jahren in festen Händen der Tiere. Lange sei man dem Fake New aufgesessen, der oberste Bananenrepublikaner sei ein Orang Utang. Das habe aber widerlegt werden können. Eine Genanalyse, welche man anlässlich von Trumps Corona-Blutprobe gemacht habe, schlösse eine Verwandtschaft zu höher entwickelten Säugetieren aus. Das einzige Chromosom, das der Präsident besitze, sei Y-förmig und baumele zwischen seinen Beinen.

Heute weiss man es besser: Ob mir nicht aufgefallen sei, dass Trump allein dieses Jahr schon zweimal je zwei Truthähne begnadigt habe? Erst zu Thanksgiving die beiden Truthähne Corn und Cob mit Namen. Das töne ja irgendwie nach Quanon und Cop. Soweit aber noch alles unauffällig. Keine zehn Tage später begnadigt er schon wieder zwei. Eric und Donald junior hiessen sie diesmal. Und man frage sich ein erstes Mal, ob Corn und Cob nicht seine unehelichen Kinder aus seiner Beziehung mit Stormy Spaniels sein könnten. Nun spiele er mit dem Gedanken,
auch Donald senior zu begnadigen. Warum wohl? Weil Corn und Cob ihre Seite vom Deal nicht eingehalten hätten. Wahrscheinlich Demokraten! Warum aber überhaupt all diese Begnadigungen, wenn gar keine Anklagen vorlägen? Ganz einfach: Alle seien nur dafür gemacht, aber keiner will rein, in den Ofen. Regieren heisst: Fressen und nicht gefressen werden.

Ich solle mir doch mal das komische rötliche Schlabberding an seinem Kopf genauer anschauen: Kuschelfaktor null, sieht einfach nur Scheisse aus! Tatsache sei, dass Amerika seit vier Jahren illegal von einem eiskalten Truthahn mit verletztem Selbstwertgefühl regiert werde! Und warum wohl sei dieser «Präsident» unfähig, in seinem Land Wahlen durchführen zu lassen, in denen nicht beschissen werde? Weil er selbst nur durch Beschiss zu diesem Posten gekommen sei. Man bedenke, dass Truthähne eine Lebenserwartung von 10-12 Jahren hätten, in Ländern mit Erntedankfesttraditionen sogar nur diejenige einer Zeitungsente, aber die amerikanische Verfassung ein Mindestalter von 35 Jahren für den Präsidenten vorschreibe. Dass im Jahr 1885 eine chinesische Einwandererfamilie zu Halloween Trumps Grossmutter süss-sauer zubereitet habe, dürfte für ihn die treibende Motivation gewesen sein, Präsident zu werden und sich mit einem Importverbot von Plüschspielzeug made in China zu rächen. Als positiven Nebeneffekt habe er sich dabei erhofft, von den Amerikanern gestreichelt statt geröstet zu werden, trotz katastrophalem Kuschelfaktor. Das habe aber nicht hingehauen, daher müsse er nun selbst dafür sorgen und sich begnadigen.

Nein, es gebe keinen Zweifel, die Welt werde von Truthähnen, Hamstern und bald auch von Zombie-Nerzen regiert.

Angela hatte recht. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen, ebenso ging es den anderen Karpfen in meinem Teich. Da zog Angela die Maske herunter. Das letzte was wir sahen: sie war kein Hamster, sondern ein Hecht.
Humanosaurus Rex

>bilder
>home >archiv