Ein Kater namens Sidi Brahim

Home Sweet Home Office

Wenn das Leben nur so abwechslungsreich wäre wie das Virus! Aber leider ist das reziprok: Je fantasievoller das Virus sein Leben gestaltet, desto einseitiger wird unseres. Aktuell zirkuliert ein besonders anhänglicher englischer Typus mit wilder, blonder Mähne und steckt hierzulande die Enten an. Also die Konsum- und die Produzenten. Die sind nun ganz verwirrt und wissen nicht mehr, wann und wo sie überhaupt noch gemeinsam brüten und sich gegenseitig Eier unter die Federn schieben dürfen, weil diese Informationen in der Schutzmaske von Herrn Berset hängengeblieben sind wie die Aerosole. So gehen manche im Try-and-Error-Verfahren vor, um das rauszufinden, so wie die Kneipenbesitzerin in Schwanden, die einfach mal aufgemacht und die Bude tatsächlich voll gekriegt hat. Bis am Mittag, als nach den Hörnli mit Ghacktem nicht das Dessert, sondern die Polizei gekommen ist. Oder wie das Lauberhornrennen. Der Testlauf mit den englischen Touristen hat hier klar gezeigt, dass man noch so schnell Skifahren kann, das Virus ist einfach schneller. Und gefährlicher. Auch bei den Ladenöffnungszeiten ist man mit ausprobieren schlauer geworden: Man hat über Weihnachten und Neujahr zweimal alle Leute gleichzeitig am Donnerstagnachmittag zum Einkaufen geschickt und dann drei Tage lang ganz dicht gemacht. Jetzt weiss man zwar immer noch nicht, ob Einkaufen am Sonntagvormittag ansteckender ist als am Donnerstagnachmittag, aber man weiss immerhin, dass Nichteinkaufen am Sonntagvormittag auch ansteckend und vor allem langweilig sein kann. Und dass der Salat am Sonntagabend schlampig war. Aber vielleicht haben wir dafür 2021 wieder mal einen Babyboom. Und Kinder haben Salat eh nicht gern, auch frischen nicht, und sind trotzdem robuster gegen Corona. Das war offensichtlich als langfristige Massnahme gedacht.
In den Läden gilt wieder mal das Paradigma des «täglichen Bedarfs». Wobei schon interessant ist, wie sich dieser tägliche Bedarf nach einen Jahr Corona verändert hat. Während im Frühling die Unterhosen noch nicht zu den Gütern des täglichen Bedarfs zählten, zählen sie jetzt dazu. Ich schätze mal, dass dies eine Folge der Emanzipation ist. Die Frauen geben jetzt den Ton an und setzen bekanntlich mehr Wert auf Hygiene als die Männer, die vor Corona ja noch nicht einmal wussten, wozu der Wasserhahn in der Toilette gut ist. Vielleicht ist es auch einfach so, dass die Ehefrau von Herrn Berset schlicht dahintergekommen ist, was für ein Schwein sie geheiratet hat, oder sie muss mit täglich neuer Reizwäsche ihren völlig überarbeiteten Mann bei Stange halten. Auch dass Blumenläden geöffnet bleiben, dürfte auf den Einfluss von Frau Berset zurückzuführen sein. Aber ein gewisses Durchsetzungsvermögen hat er am Ende dann doch noch bewiesen: Immerhin Hemden und T-Shirts muss er immer noch nicht täglich wechseln. Dank der frischen Blumen, die er täglich heimbringt, haben sie trotzdem eine dufte Ehe.

Das könnte sich aber bald einmal ändern, denn auch Herr Berset muss ab Montag von zuhause aus arbeiten, da er das ja selber vorgeschrieben hat und als Vorbild auch vorleben muss. Wir sind ja hier nicht in England, nehmen also das selbst ernst, was wir verordnen! Hat ihm seine Frau gesagt. Und wir wissen, wie das ist, wenn beide Ehepartner gleichzeitig zuhause sind und wichtige Sachen für die Aussenwelt machen müssen. Das gibt nur Zoff, weil jeder dem anderen auf dem Internet rumsteht. Herr Berset hat aber mit dem Zusatz von der «Zumutbarkeit» geschickt ein Hintertürchen offengelassen, um seine Ehe zu retten. Sobald er für seine Frau unzumutbar wird, darf, nein muss er wieder ins Büro. Und das erreicht er zur Not ganz einfach, indem er sein Hemd eine Woche lang nicht wechselt. Oder jeden Mittag Pizza bestellt und die leeren Schachteln im Wohnzimmer stapelt, weil die Müllabfuhr auch Home-Office macht.
Denn bei der Müllabfuhr gilt ganz klar, dass Home-Office zumutbarer ist als hinten am stinkenden Müllwagen zu stehen und durch die Kälte zu fahren. Da gibt es keine Ausrede! Nicht einmal die Ausnahme, dass bestellte Waren abgeholt werden dürfen, ist hier anwendbar, weil nicht die Müllabfuhr die Pizzakartons bestellt hat. Herr Berset setzt bei den neusten Massnahmen nicht mehr auf Schweizer Originalität, sondern auf wertvolle Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht wurden. In Neapel kämpft die Camorra mit diesem Müllabfuhrmodell seit drei Jahrzehnten gegen Corona und hatte, ausser im letzten Jahr, Erfolg dabei.

Wenn man schon zuhause arbeitet, sollte man auf Stil und Ergonomie achten. Mein geerbter Bürostuhl mit der katzenstreubraunen, abgeschabten Sitzfläche hat keinen Stil mehr, dafür Flecken und Flusen, und die defekte Höhenverstellung sorgt dafür, dass ich zwar bequem meine Zehennägel schneiden und die Textur des Schieferbodens auch ohne Brille studieren, aber nur mit durchgestrecktem Rücken knapp auf die Tastatur sehen kann. Das ist auf die Dauer ungesund. Jetzt sitze ich vorerst mal abwechselnd zusätzlich auf Herrn Bersets Pizzaschachteln oder der Katze, um kein Rückenweh zu kriegen. Die sind aber ziemlich fettig beziehungsweise haarig, und die Hose darf man auch nicht täglich wechseln, und sie stinkt unterdessen nach Frutti di Mare, weiss nicht woher. Da muss ich wohl nächste Woche einen neuen Bürostuhl kaufen gehen, bevor ich unzumutbar werde. Möbel Pfister hat aber leider zu. Dann gehe ich halt zu IKEA. Deren Möbel laufen schliesslich unter dem «täglichen Bedarf» mit «Verbrauchsgütercharakter». Und wenn die dann auch zu haben? Dann muss ich wohl oder übel doch wieder ins Büro. Einfach ohne Hose, sonst schicken die mich wieder heim, weil unzumutbar.
Pantalone

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