Ein Kater namens Sidi Brahim

Die Erfahrung der Welt1

Mit Impfen ist ja noch lange nichts für mich. Ich bin in einer Impfgruppe ganz hinten im Alphabet, irgendwo bei 屁, also werde ich mich noch lange gedulden müssen. Mittler­weile übt sich der Bundesrat darin, sein Impfziel zu erreichen, indem er mit AstraZenica in übergrossen Spritzen auf Dartsscheiben schiesst. Alain führt aktuell mit 8:5 gegen Guy. Wenn überschüssige Dosen vorhanden sind, darf Karin auch mal.

Wenn schon nicht impfen, dann immerhin testen. Jetzt gibt es ja diese Gratis-Selbsttests. Alain hat Anfangs März euphorisch angekündigt, dass diese bereits eine Woche später in allen Apotheken verfügbar sein sollten. Davon wussten allerdings weder der Hersteller noch die Apotheken etwas. Jetzt, gut 3 Wochen später, sind sie tatsächlich da, aber keiner glaubt das mehr so richtig.

Nur ich bin als braver Staatsbürger und Bundesratsgläubiger direkt am ersten Tag zu einer Apotheke gepilgert und wollte mich in die Schlange einreihen, um dieses Testset abzuholen. Gut, wenn ich ganz ehrlich sein will, nicht nur weil ich sehr pflichtbewusst bin, sondern weil ich immer auf der Matte stehe, wenn es was gratis gibt. Ich war dann schon etwas erstaunt, als da gar keine Schlange war und ich das Testset bereits drei Minuten später in der Hand hielt. Bei genauerer Betrachtung desselben wurde die Zurückhaltung der Mitbürger dann schon etwas verständlicher. Freibier sieht einfach leckerer aus. Und ist auch einfacher zu applizieren. Mit so komischen Stäbchen, Tupfer und spritzenähnlichen Dingern und so, und dann muss man saumässig aufpassen, dass man das richtige Teil in das richtige Loch schiebt. Jedenfalls traute ich der ganzen Sache nicht so sehr und dachte: Probieren wir das doch erst mal an der Katze aus. Die ist solches von diversen Abszessbehandlungen her gewohnt.

Jetzt, 30 Minuten und diverse Kratzer später weiss ich, dass unsere Katze negativ ist, jedenfalls was ihre persönliche Haltung gegenüber Corona-Selbsttests betrifft, und dass ich meine Starrkrampfimpfung erneuern sollte, an die man wenigstens einfacher kommt als an eine Coronaimpfung. Und ich hoffe, dass kein Abszess aus diesem Test wird. Meine Zuversicht, diesen Test an mir selbst ausführen zu können, ist mit dieser Übung leider nicht besonders gestiegen.

1Nicolas Bouvier musste vor siebenundsechzig Jahren mit seinem Fiat Topolino noch bis Afghanistan reisen, um Abenteuer zu erleben. Das kriegen wir heute – trotz Globalisierung – bereits um die Ecke.
Warum aber überhaupt diese Testerei? Nun ja: Wir wollen über die Frühlingsferien nach Italien, ganz im Norden, bloss 5 Kilometer von der Schweizer Grenze weg, weil wir dort noch vor Coronazeiten mal eine Ferienwohnung gemietet haben und wir die nach einer coronabedingten Verschiebung letztes Jahr nicht noch mal verschieben, sondern einfach mal beziehen wollen. Dorthin zu kommen, ist aber mittlerweile schwieriger als nach Pakistan. Um nach Pakistan zu reisen, brauchte man bloss ein Visum, einen detaillierten Reiseplan und eine Kalaschnikow. Für Italien ist das ein bisschen komplizierter. Für das EDA gibt es aktuell pauschal nur ein einziges sicheres Reiseland, nämlich die Schweiz, allerdings mit einer Reisewarnung für Sankt Gallen, wo aktuell eine akute Verletzungsgefahr durch herumfliegende Aerosole besteht. Das EDA hält sich somit auch mit detaillierten Informationen für Italien nobel zurück und verweist auf amtliche italienische Seiten.

Nach nächtelanger Lektüre aller Ordinanze del Ministerio degli Affari Esteri und del Ministerio della Salute, die, kaum fertig gelesen, bereits wieder in einer neuen Fassung aufgeschaltet werden, komme ich zum Schluss: Um die Grenze bei Gandria zu verlassen, braucht es einen negativen Corona-Test (Selbsttest genügt nicht, wenn die Katze nicht mitreist), eine Selbst­deklaration und einen Nachweis für eine legitime Reiseberechtigung, wozu ausschliesslich dringende Arbeiten, absolute Notfälle, Notlagen und gesundheitliche Gründe zählen. Zum Glück können wir alle vier Gründe nachweisen: Die persönliche Vor-Ort-Kontrolle, ob die italienischen Winzer vorschriftsgemäss arbeiten, ist längst überfällig, das Ferienhaus ist längst gebucht und bezahlt, die Cousine sitzt schon reisefertig im Haus, und wir brauchen nach der ganzen Corona-Scheisse dringend frische Luft an einem Kurort. Andere Vorschriften machen uns etwas mehr Kopfzerbrechen: Im Auto muss der Mindestabstand von 1 m zwischen den Passagieren eingehalten werden, und der Beifahrersitz darf nicht besetzt sein, wenn haushaltfremde Personen mitreisen, was bei einem Kleinwagen schwierig wird. Wir reisen daher mit einem Sofa auf dem Dach an, auf dem wir unsere Cousine zwei Kilometer vor dem Grenz­übergang setzen, natürlich mit Maske. Weiter ist beim Überschreiten von Gemeindegrenzen ein Passierschein vorzuweisen, der vom jeweiligen Gemeinde­präsidenten unter­zeichnet sein muss, und zwar von der Gemeinde, die man verlässt und von der, die man betritt. Daher war an eine Reise nach Süditalien gar nicht zu denken, weil wir einen Koffer voll davon hätten mitführen müssen und das Sofa die Reise über die Autostrada del Sole wohl nicht überlebt oder die Cousine sich einen Schnupfen geholt hätte. Und zu
guter Letzt ist da noch die brandneue Vorschrift, dass man am Ankunftsort erst mal fünf Tage in Quarantäne muss. Um unsere Absicht, diese einzuhalten, an der Grenze glaubhaft wirken zu lassen, haben wir vorsorglich die Wanderschuhe unter Haufen von Büchern und Spielen versteckt, das Auto mit Lebensmitteln gefüllt und natürlich im mittlerweile beachtlichen Stapel an Formularen ein paar Zwanzigeuroscheine versteckt. Nach den fünf Tagen würde dann wieder ein Test fällig – wir haben unserer Nachbarin, welche die Katze hütet, das Datum bereits mitgeteilt. Auch wenn man alles tipptopp erfüllt, behält sich der italienische Staat vor, die Einreise ohne Angabe von Gründen zu verweigern oder gar das Auto zu konfiszieren. So verbringen wir trotz aller seriösen Vorbereitungen mindestens eine schlaflose Nacht vor diesem Abenteuer, bange, ob alles klappen würde, und malen uns aus, wie wir einen Grenzübergang nach dem anderen abklappern würden, um doch noch auf einen verständnisvollen, unterbezahlten Zöllner zu treffen, wie auch unsere Androhung, unseren guten Freund Supermario anzurufen, verpuffen würde, weil wieder mal niemand in Italien wüsste, von wem dieses Land aktuell überhaupt regiert wird, wie wir schliesslich in Lugano eine Schlepperbande anheuern würden, welche uns und das Sofa auf Maultieren über die grüne Grenze durch die Berge bringen würde, und wie wir uns schliesslich im Ferienhaus verschanzen und die örtlichen Carabiniere mit Papierfliegern aus den Formularen beschiessen müssten, um sie in Schach zu halten. Das versprechen ja erholsame Ferien zu werden!

Nun ziemlich nervös und maskiert fahren wir mit dem Stapel Formularen im Anschlag in Gandria auf die Grenze zu, oben auf dem Sofa die bleiche Cousine, drosseln brav das Tempo, halten an. Hinter uns hupt es. Vor uns: Kein Zöllner weit und breit. Das Zollgebäude ohne Licht und ausgestorben. Wir vermuten einen Hinterhalt und schauen vorsichtig um die Ecke: Nichts, nur dürres Laub, eine Maske und ein paar vergilbte Formulare, die der Wind zusammengetrieben hat, und ein Hund, der gelangweilt auf einer Beamtenmütze herumkaut.

Die Formulare haben wir zum Einheizen der gemütlichen Ferienwohnung verwendet. Die Zwanzigeuroscheine haben wir vorher wieder rausgenommen und werden sie für die dringende Arbeit verwenden. Wir freuen uns auf die Ferien in der Resistenza. Viva l’Italia!
Leo Topolino

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