Ein Kater namens Sidi Brahim

Heisse Kartoffeln

Bevor es Geld gab, gab es Kartoffeln. Die konntest du essen, aber auch eintauschen gegen Eier, ein Huhn oder eine Lebensver­sicherung, indem du sie Freunden oder deinem Feldscherer schenktest und diese damit gut stimmtest, so dass deine Chancen stiegen, die nächste Not oder den nächsten Abszess zu überleben. Wenn du wissen wolltest, ob du reich warst, musstest du bloss in den Kartoffelkeller steigen. Wurdest du schon beim Anblick satt, warst du reich. Oder hattest bei der Lebensversicherung zu sehr gespart. Sparen konntest du Kartoffeln nicht so gut, die Kartoffeln wehrten sich dagegen, indem sie an Gewicht verloren, faulten oder anfingen zu keimen. Also war es besser, die Kartoffeln zu essen und gelegentlich in Hühner, Eier oder Lebensversicherungen umzuwandeln.

Heute ist das alles nicht mehr so einfach. Das heisst, Kartoffeln sind eigentlich einfacher als früher: Es gibt sie noch, sie werden aber nur noch zum Essen gebraucht. Wenn du den Hühnern Kartoffeln hinhältst, dann lachen die nur. Deine Freunde werden dich verlassen oder einweisen, wenn du ihnen regelmässig Kartoffeln schenkst. Und wenn du mit einem Sack Kartoffeln zum Arzt gehst und ihm den als Bezahlung für eine Heilung anbietest, wird dich der mit einem Kartoffelschäler kurieren. Das könnte einen Abszess geben.

Die Kartoffeln sind aber nur einfacher gewor­den, weil man zum Tauschen eine Ersatz­kartoffel erfunden hat, man könnte auch sagen, die Universalkartoffel. Eine einfache Idee: Statt immer echte und mit Erde verklebte Kartoffeln in einem groben Jutesack mit dir rumzuschleppen, um tauschen zu können, trugst du nun ein feines faltbares Ledertäschchen im Hosensack. Darin lagen die Universalkartoffeln in verschiedenen Grössen und trotzdem ganz klein, ebenfalls faltbar und sauber, aber auch Fremd­währungen konntest du drin aufbewahren, also Generalhühner, Globaleier und Allgemeinärzte, und sogar darauf sitzen. Allerdings konntest du diese Universal­kartoffeln nicht essen. Du musstest sie zuerst gegen Urkartoffeln eintauschen, die du dann essen konntest. Dafür konntest du sie sparen, und im Gegensatz zu den Urkartoffeln wurden sie dabei dicker, faulten und keimten nicht. Dasselbe galt für die Generalhühner, Globaleier und Allgemeinärzte.

Jedenfalls war das mal eine Zeitlang so. Weil diese neuen Kartoffeln so praktisch zum Besitzen waren und statt kleiner grösser wurden, waren sie beliebt. Du sammeltest mehr davon, als du zum Tauschen brauchtest. Zum Wachsenlassen musstest du die allerdings in so eine Art moderne Landi bringen. Und die Landi sorgte dafür, dass die Kartoffeln genügend Platz zum Wachsen hatten und nicht gestohlen wurden. Denn so etwas Beliebtes hat dann natürlich allerhand
an Gesindel angelockt. Landiraub und Taschendiebstahl waren damals beliebte Erwerbszweige. Die Kartoffeln wuchsen übrigens nur, weil die Landis sie an so eine Art moderne Bauern weitergaben. Die bauten sie an, also vermehrten die Kartoffeln, und gaben dann die gleiche Menge plus etwas mehr den Landis zurück. Die Landis wiederum behielten einen Teil des Mengenzuwachses für sich und gaben den anderen Teil dir und den übrigen Kartoffelsparern zurück. Man nennt das «Zinswirtschaft». Nicht zu verwechseln mit «Landwirtschaft». Bei der geht es darum, nur für die Tatsache allein, dass man Kartoffeln anbaut, bereits Kartoffeln zu kriegen.

Dann haben aber die Könige gemerkt, dass das mit dem Zinswirtschaft nicht so gut ist, weil du dann die modernen Kartoffeln nur noch in der Landi hortest, statt sie zu tauschen. Denn bei den Tauschgeschäften kriegten die Könige immer den Zehnten ab, also jede zehnte Kartoffel, jedes zehnte Huhn, jedes zehnte Ei und jeden zehnten Abszess. Die Könige haben also kurzerhand den Zins verboten, um dich zu zwingen, die Kartoffeln wieder zu tauschen. Behieltest du sie auf der Landi, dann musste diese von nun an jeden Monat was von den Kartoffeln abschnipseln, weil sie ja auch von was leben wollte. Der Zins ging damit sozusagen einfach nach hinten los. Man nannte das dann «Negativzinswirtschaft». Die neuen Kartoffeln verhielten sich von da an plötzlich wie die alten: Je länger du sie behieltest, desto mehr verloren sie an Gewicht. Die Landi hat damals übrigens den Sparschäler erfunden.

Dummerweise hattest du aber schon so viele Kartoffeln angespart, dass du sie schlicht nicht alle tauschen konntest, um dem Problem zu entgehen. Einfach zugucken, wie sie jeden Tag weniger wurden, war schmerzhaft.

Auch die Landiräuber und Taschendiebe stürzten damit in eine Krise. Diese Berufe waren plötzlich nicht mehr beliebt und starben fast aus. Überfiel einer eine Landi, dann konnte er danach nächtelang nicht schlafen, weil er sich mit dem Besitz von den geraubten Kartoffeln horrende Negativzinsen aufgehalst hatte. Wenn mal einer der selten gewordenen Landiräuber sich in eine Landi verirrte, wurde er dort mit offenen Armen empfangen und nach Strich und Faden verwöhnt. Der Landidirektor fuhr ihn mitsamt den geraubten Kartoffeln mit seinem eigenen Traktor nach Hause, so erleichtert war er, nun endlich wieder schlafen zu können und nicht mehr nur von Kartoffelschnipseln leben zu müssen. Auch Taschendiebstahl war schwierig geworden. Wenn du dein Ledertäschchen wie zufällig in gut frequentierten Gegenden fallenliessest und zusahst, wie es einen neuen Besitzer fand, dann durftest du nicht lange in deiner Erleichterung schwelgen, sondern musstest schnell genug das Weite suchen, bevor der neue Besitzer dir hinterherrannte, dich schnappte und eine Entschädigung für den Negativzins verlangte.
Du und deine Landi waren aber schlau genug und haben doch noch Wege gefunden, deine Kartoffeln zu vermehren, auch ohne Zins. Eine Landi kommt nämlich auch ohne Bauern aus. Das funktioniert so wie das Telefonspiel. Die Kartoffeln werden nun bei der Landi einfach in neue, glänzende und geheimnisvoll knisternde nicht mehr nach Kartoffelsäcken aussehende Säcke gesteckt und an andere Landis weitergegeben, die sie wieder in andere noch buntere Säcke einpacken und so weiter, bis neue, noch schönere, grössere und noch geheimnisvoller glänzende Säcke wieder bei deiner Landi eintreffen. Nun rennen ganz viele Leute zur Landi und wollen diese schönen Säcke haben, nicht weil sie interessiert, was da drin ist, sondern weil die anderen Leute diese Säcke auch haben wollen. Dabei gibt es immer nur eine bestimmte Menge von diesen Kartoffelsäcken, so wie an Advent Türchen, und viel mehr Leute, die sie haben wollen. Darum werden diese Säcke immer wertvoller und du und deine Landi verdienen dran. Aber es sollte dann bitte keiner auf die Idee kommen, so einen bunten Sack aufzumachen, den er für ganz viele von seinen schönen glänzenden Kartoffeln erstanden hat. Es könnte sein, dass da nur eine Katze oder eine Handvoll zweifelhafte und ziemlich verkrümelte Chips hervorkommen. Oder die Kartoffelfäule, die sich in Windeseile verbreitet. Das Ganze funktioniert nämlich nur, wenn alle Leute die Säckchen schön brav zu lassen und sich einfach nur vorstellen, dass da leckere Gschwellti drin sind. Ja, wie heisse Kartoffeln funktionieren diese Säcke: Jeder will sie, aber kaum hast du sie in der Hand, willst du sie nur noch loswerden. Denn der Preis ist heiss und man weiss ja nie…

Nicht nur der Erfinder von Robidog hat auf diese Weise ein Vermögen gemacht. Das Prinzip funktioniert sogar dann, wenn in den Säcken statt eingebildeter heisser Kartoffeln nur warme Luft drin ist und die Leute das sogar wissen. Du musst nur der sein, der das erfunden hat, und darfst natürlich nicht sagen, dass da nur warme Luft drin ist, sondern musst dir irgendwas Fantasievolles ausdenken. Fish’n Bluechips zum Beispiel, Potatochain, Cretin Dauphinois oder Bitchcoin. Dann musst du deine Erfindung an die Stocki Exchange bringen und von ausgewiesenen Grossbauern, Potatocoaches und Warmluftspezialisten mit Tomaten auf den Laseraugen begutachten und bewerben lassen. Die Preise für deine Warmwindbeutel werden ins Unermessliche steigen, sogar dann, wenn einer der grössten Promotoren und Grossmaulbauern und Erfinder des Elektrokartoffelkäfers ob so viel Warmluft von wegen Klimaerwärmung und so wieder kalte Füsse kriegt und alle anderen damit auch. Aber sowas dauert meist nicht lange. Wie das Sprichwort sagt: Lieber die warme Luft im Dach als die Scheisse in der Hand. Also: Kauft bunte Kartoffelwundertüten, Leute!
Heinrich Zweifel


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