Ein Kater namens Sidi Brahim

Verhüllungsjournalismus

Anziehsachen sind Ansichtssache, könnte man in unserer liberalen Gesellschaft meinen. So einfach ist es leider nicht. Die Zeiten, in denen man BH’s verbrennt oder Kleider aus Gänsefedern, Pelz oder gar Fleisch trägt, sind vorbei. Der Dress-Code unserer Zeit ist streng geworden: Vegan muss es auf alle Fälle sein, bauchfrei ist U-25 auch bei Minus­tempe­ra­turen Pflicht, aber tiefe Ausschnitte bis zum Bauchnabel dürfen nur von Hollywood-Starlets getragen werden, bei denen das zum Marketing gehört. Ansonsten ist sowas Porno­grafie und wird von Zuckerberg’s Meta-Stasis Facebook, Instagram und Whatsapp geahndet. Wo zu viel Busen sichtbar wird, schreiten die Sittenhüter des Silikon Valley ein.

So ist es der Venus von Willendorf ergangen. Die verkauft seit fast 30'000 Jahren mithilfe ihrer Freizügigkeit Eintrittskarten für das Naturhistorische Museum von Wien und besteht eigentlich gar nicht aus Silikon, sondern aus Oolith, also Eierstein, was auch irgendwie verdächtig tönt, und wurde jetzt auf den Facebook-Index gesetzt. Gleich erging es anderen leichtbekleideten Damen und Herren von Tizian, Rubens, Modigliani oder Schiele, die in anderen Wiener Museen anschaffen. Wobei böse Zungen behaupten, dass es nicht die Pornografiezensursoftware war, die für den Ausschluss aus dem sozialen Darknet gesorgt hat, sondern vielmehr die Antifalten- und Antispeckgürtelsoftware sich am antiken Gestein und der rissigen Leinwand die Zähne ausgebissen hat. Diese Motive liessen sich nicht zu Modediven oder Magermodels ohne Risse in der Patina aufhübschen. Jedenfalls sind die alle nun in Zuckerberg’s Besenkammer verdammt worden, wo sie sich vermutlich lebhaft mit
Donald Trump austauschen. Der sitzt dort jedoch nicht wegen Freizügigkeit, sondern wegen Freizüngigkeit. Und weil er mit seinen antidemokratischen Methoden eine echte Konkurrenz für Zuckerberg darstellt. Was die da in der Besenkammer treiben, würde einen ja schon wundernehmen. Nun, im Präsi­dentschafts­wahlkampf 2024 wird Stormy Wilma schon auspacken. Wir freuen uns darauf.

Allzu prickelnd dürfte es in der Besenkammer aber auch nicht zu und hergegangen sein. Die Venus und ihre Komparsen, Konkubienen und Konkudrohnen haben nämlich bereits eine neue Heimat auf der Porno-Bezahl-Plattform Onlyfans gefunden. Trump durfte leider nicht mit, zu wenig sexy, haben die anderen befunden, sie geben trotz deutlich höherem Alter mehr her als Donald. So tüftelt der an seiner eigenen Plattform herum. Der aktuelle Arbeitstitel lautet TruthSocial, wird aber vermutlich noch in FakeNews oder FartyTales geändert, weil dann auch die Bilder von seinem Hintern besser reinpassen würden.

Nicht ganz so glamourös und sexy geht es bei uns in der Schweiz zu und her. Das liegt daran, dass Fragen der korrekten Bekleidung die höchsten Niederungen der Politik erreicht haben. Da gibt es eine grosse Partei, die sich sehr stark gegen Verhüllungen engagiert, allerdings dann doch etwas mutlos und schweizerisch verschämt, weil vor allem das Gesicht betreffend. Pornographie ist bei uns eine HNO-Teildisziplin. Nur im Kampf gegen diese Verhüllungen wagt sich diese Partei manchmal unter die Gürtellinie und spricht damit erfolgreich grosse Bevölkerungskreise an, die ganz gerne etwas mehr Haut sehen würden, aber dann doch nicht zu viel. Das passt einfach nicht zu einem Volk, in dem die Sumoringer mit edelweissbestickten Hemden auftreten. Manche Edelweisshemden hängen sich dann sogar noch Kuhglocken um den
Hals, um für mehr Freiheit zu bimmeln, was ich bei so unpraktischen Kleidungsstücken gut verstehen kann. Und ja, es reicht in diesem Fall eine grossporige Nase oder einen 5-Millimeter Schlitz behaarte Haut zwischen der weissen Socke und der Trachtenhose zu Gesicht zu kriegen. Mehr ist einfach nicht sexy.

Diese Partei hat bekanntermassen eine Initiative durchgebracht, welche Gesichtsverhüllungen verbietet. Das ist konsequent, denn dieselbe Partei stellt sich auch gegen alle Massnahmen, welche die Klimaerwärmung verhindern, und gegen die Einwanderung. Und wenn keine sibirischen Winde mit minus 20 Grad oder fremde Virenstämme mehr durch unser Land fegen, sind Gesichtsverhüllungen ja tatsächlich unnötig. Trotzdem tut sich die die Politik nun schwer damit, wie sie das umsetzen soll. Wer mit kurzen Hosen unterwegs ist, soviel steht schon fest, wird keinen Schal im Gesicht tragen dürfen. Auch an Postschaltern, in Läden oder Eisenbahnen, wo gut geheizt wird, werden Gesichtsverhüllungen verboten sein, also das Gegenteil von dem, was heute gilt. Je nachdem, wann das neue Gesetz in Kraft tritt und wie lange die Pandemie noch andauert, wird auch beides gleichzeitig gelten. Das ist natürlich ganz praktisch für den Staat, um die Bussenkassen wieder mal aufzufüllen. Ich gehe jedoch davon aus, dass man einen gutschweizerischen Kompromiss eingehen und die Masken einfach nasenfrei tragen wird. Ziemlich sexy. Mal sehen, wie Facebook darauf reagiert.
Ursula Undress


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