Ein Kater namens Sidi Brahim

Organische Materie

Früher war das einfacher, sich an seinen Erzfeinden zu rächen. Man ging eben mal kurz vor dem Frühstück mit dem Morgenstern vorbei. Oder bestellte bei der Mafia ein Betonfundament «light» für das Sommerhäuschen in Süditalien. Bei leichten Verstössen gegen die eigenen Grenzen schlug man dem Gegner einfach einen Zahn aus. Aktuell gelten wir als einigermassen zivilisiert, was uns Magengeschwüre beschert. Wir können uns nervende Mitmenschen nicht mehr so einfach loswerden, nicht einmal unsere Aggressionen gegen sie. Das Einzige, was uns bleibt, ist den stärkeren SUV zu kaufen als der, den unser Feind besitzt. Das machen offensichtlich viele so, und stehen dann mit dem dicken Brummer im Stau auf der Autobahn im Ostring hinter einem noch dickeren und nerven sich schon wieder.

Das ist ungesund, und daher reagiert nun das Bundesamt für Gesundheit, indem es die Widerspruchslösung forciert, und Swiss­transplant mit seiner Organspenden­offensive, die durch eine für alle offene Organ­spenden­datenbank beliebt gemacht werden soll. Jede und jeder kann jedes Organ spenden. Auch fremde Organe, ohne dass dessen Besitzer dem zustimmen müsste. Damit wird, laut Swisstransplant, die Anonymität gewähr­leistet. Und damit wird auch eine praktische mittelalterliche Tradition wiederbelebt. Handspenden von Taschendieben oder Ohrspenden von Boxern waren damals sehr beliebt. Die Kopfspendepraxis des
Islamischen Staates verlief allerdings im Sand, weil den Spendeorganen meistens der wehende, verfilzte Bart fehlte und sie damit für das lokale Zielpublikum zu wenig attraktiv waren.

Swisstransplant ist aber ein Segen für unser Zusammenleben. Als letzthin unser Nachbar mit der Kreissäge den ganzen Tag in der Wohnung gearbeitet hat - er hat dank der BAG-Offensive einen neuen Job als Organist gefunden - spendete ich seine linke Niere und ging danach entnervt zu ihm hinüber mit der Androhung, auch seine rechte Niere zu spenden, wenn der Lärm nicht sofort aufhören würde. Seither haben wir wieder Ruhe. Er hat sich jetzt auf Lungen spezialisiert, die machen weniger Krach. Er konnte sich eine kleine Rache leider nicht verkneifen und hat meine Ohren gespendet. Ich muss mir jetzt eine neue Brille kaufen. Die zahlt immerhin die Kasse, weil Organspenden zur Grundversorgung gehören. Sogar der Selbstbehalt fällt weg, er macht ja hier keinen Sinn.

Ich möchte mich aber normalerweise nicht ohne edle Absicht mit fremden Lebern schmücken. Schliesslich sollten bei einer Organspende nicht emotionale Motive, sondern eine altruistische Haltung im Vordergrund stehen. Was vielen bis jetzt noch nicht bewusst ist: Mit Organspenden kann man Politik machen. Eine Empfehlungsliste der NGO Greenliver hilft mir, die geeigneten Organe von Politikern auszuwählen, um Entscheidungen in die gewünschte Richtung zu bringen. Wenn neuerdings nicht nur die SVP, sondern einige Politiker der links-grünen
Lagers in Bern einen Autobahnausbau im Ostring befürworten, weil sie dort mit ihren SUV feststecken und das Benzin für die Standheizung ausgeht, dann spende ich eben deren kalte Füsse. Das schafft eine gemeinsame Win-Win-Situation: Ich tue damit aktiv etwas für den Klimaschutz, und sie haben keine kalten Füsse mehr. Greenliver gilt übrigens als gemeinnützig, das hat den Vorteil, dass alle erfolgreich gespendeten Organe, sogar kalte Füsse, das ZEWO-Siegel tragen und von den Steuern abgezogen werden können.

Die von Swisstransplant betriebene Organvermittlungsplattform erhielt jetzt den neuen Namen Heartship und eine neue Funktion, mit der sich potentielle Organempfänger mit erfolgsversprechenden Organen daten können. Direkte Kontakte, kurze Lieferketten und Just-in-Time-Produktion sind in dieser Branche essenziell. Letzthin tummelte ich mich auf Heartship, um zu schauen, wer sich für das Herz meines Zahnarztes interessierte. Da war da ein Kunde mit dem Pseudonym Frankenstein, der sich aber nicht nur dafür, sondern auch sonst für allerhand Herzen, Lebern, Milzen und Nieren interessierte. Ich wiederum interessierte mich, wessen Körper eine derartige Baustelle ist, dass er so viele Organe benötigt, und öffnete das Profilbild.

Ich war dann doch etwas überrascht: Es war unser Hauskater.
Krankenschein


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