Ein Kater namens Sidi Brahim

Punkte sammeln

Klein-Eva ist gestern mit ihrem ersten ECTS-Punkt aus dem Kindergarten heim­gekom­men: Er war rund, ca 1½ cm gross, unten blau, oben weiss und in der Mitte hockte eine Ente. Er klebte auf einer Zeichnung mit Häusern, Monstern und Büchern. Immerhin war es keine Windpocke.

Gut, ganz sicher bin ich mir nicht. Ich habe noch nie so einen ECTS-Punkt gesehen. Zu meiner Zeit gab es das noch nicht in der Ausbildung. Da hat man einfach irgendwann angefangen zu studieren und irgendwann war man mit etwas Glück an der letzten Prüfung fertig. Manche blieben auch irgend­wo mitten auf der Strecke liegen, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Wenn man was sammelte, dann waren es Semester oder Schmisse, aber nicht Punkte, und statt Punktesammlern gab es bunte Punks. So war das damals. Heute ist das ja ganz anders. Da schaut man nicht mehr, was für eine Vorlesung oder Seminar einem am meisten Spass machen würde, und das besucht man dann, auch wenn es irgendwie gar nicht in das ganze Programm passt,
nein, heute schaut man, in welcher Veran­staltung der Wechselkurs der investierten Zeit gegen ECTS-Punkte am höchsten ist. Die Punkte trägt man dann auf sein Aus­bildungskonto, transferiert sie nach Liech­tenstein, brennt sie auf CD und tauscht sie zuletzt auf der Banca di Bologna gegen einen Bachelor oder, wenn gerade Scudo herrscht, einen Master ein. Dazu muss man aber mindestens in höherer Mathematik befähigt sein.

Nicht nur Akademiker studieren ja heute, auch Schwestern, Landschaftspfleger und Kindergärtnerinnen müssen einen akade­mischen Nachweis ihrer Befähigung im Umgang mit Kranken, Kompost und Kindern erbringen. Mit "wie geht’s denn heute so", "Pflotsch" und "Aba baba dudu" ist's nicht mehr getan, da muss ein Diplom her und werden entsprechend wie wild diese ECTS-Punkte gesammelt wie Paninibilder. Sogar als Supermarktkunde muss man sich heute qualifizieren und Cumulus-, Super- oder Pfannenpunkte sammeln, sonst verliert man seine Shopping-Lizenz und wird wo­möglich nicht mehr reingelassen. Kein Wunder fängt dieser Punktesammelblödsinn nun eben auch schon im Kindergarten an und schwappt ins Tierreich rüber (Leopar­den, Marienkäfer, der kleine Onkel).
Das mit dem freien Transfer, was ja hinter den Punkten angeblich stecken soll, funk­tioniert aber irgendwie immer noch nicht richtig: Letzthin bin ich mit drei platschvollen C3-Couverts voller Mondopunkte, die meine Grossmutter gesammelt hatte, ins Rektorat der Uni Bern und fragte, wieviele solcher TCS-Punkte ich dafür nun kriegen würde - die schauten mich bloss blöd an und schickten mich weiter ins psychologische Institut, wo ich sie immerhin gegen 75 Intelligenzpunkte oder wie die Dinger heissen tauschen durfte. Ich weiss allerdings nicht recht, was ich mit denen anfangen soll, kleben tun die nirgends. Ich glaub ich schenk sie dem Dow Jonny oder dem Parker Röbi, die sind auch immer ein bisschen ausgebrannt und brauchen Punkte.
Gattopardo

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