Ein Kater namens Sidi Brahim

Evolution

Der Mensch gilt in seiner eigenen unbe­schei­denen Wahrnehmung als hochin­telligentes Endprodukt einer komplexen Entwicklungsgeschichte. Entstehen konnte er dabei ja eigentlich nur, weil - salopp gesprochen - es zuerst die Amöben mit den Pantoffeltierchen, dann die Schnecken mit den Lurchen, die Fische mit den Vögeln, die Gorillas mit den Schimpansen und schliesslich Frau Meier mit Herrn Müller getrieben haben. Von der Kreidezeit über Paläozän, Oligozän, Miozän, Pliozän, Milch- und Weisheitszähn haben wir darauf hin gearbeitet, den Schwanzfortsatz verkümmern und das Kleinhirn wachsen zu lassen. Flossen und Schuppen haben die meisten von uns erfolgreich abgestossen, beim Fell sind Teilerfolge mehr oder weniger gut erkennbar und auch die Beine haben wir schon ziemlich erfolgreich durch Räder wegevoluiert.

Völkerwanderungen und genetischer Reichtum sind dabei für diese Erfolgsgeschichte bestimmende Faktoren. Umso erstaunlicher, dass sich die Menschheit so schwer tut mit diesen Rezepten und seit je her alles daran setzt, der genetischen Durchmischung Grenzen zu setzen. Rassengesetze, Ausländerartikel, Kopftuchverbote und Gartenzäune sind nur einige der mannigfaltigen Ausprägungen dieser Tendenz.

Als nicht nur Homo- sondern auch Önophiler
stellt man schnell einmal fest, dass es auch anders geht. Der Qualitätsweinbau hat seit einigen Dekaden die Qualitätsmenschen­zucht mit Abstand hinter sich gelassen. Was sind die Erfolgsfaktoren?

Zuerst einmal stellen wir fest, dass das beste Rezept gegen den ärgsten Feind, die Reblaus, das Pfropfen ist. Dabei wird eine Kulturrebe europäischen Ursprungs einer amerikanische Wildrebe aufgepfropft. Das ist in etwa das, was die 68-er Generation mit der freien Liebe bezeichnet hat, sogar kontinentübergreifend. Die Kultur der Kulturrebe und die Wildheit der Wildrebe fügen sich dabei ideal zu einem vitiferalen Woodstock zusammen.

Dann die Kreuzungen: Auf dem Kreuzweg befindet sich, wer das Gefühl hat, Chardonnay und Cabernet-Sauvignon stammten direkt aus dem englischen Königshaus oder seien arischen Ursprungs. Cabernet Sauvignon ist aus der Misch­lings­ehe von Cabernet Franc (rot) mit Sauvignon Blanc (weiss) entstanden, also ähnlich wie Barack Obama oder Michael Jackson‘s Nase. Noch schlimmer steht es mit Chardonnay: Seine Vorfahren sind eine Promenaden­mi­schung aus dem Proleten Heunisch, von den Ungarn während ihrer Raubzüge nach Europa verschleppt und zeitweise wegen seiner schlechten Qualität sogar verboten, sowie der nur noch selten im Oberwallis vorkommenden Gwäss. Beide gehören in der Stammeshierarchie eher den Affen als den Akademikern an. Auch der Riesling, der gemeinhin als eine der besten wenn nicht
als die beste Weissweintraubensorte gilt, ist nach neusten Forschungen ein Produkt einer One-Night-Stand des Gwäss mit einer hübschen Traminerin, was einmal mehr beweist, dass auch aus der Gosse Grosses kommen kann. Überhaupt scheint dieser Gwäss ein Brad Pitt des Rebbaus zu sein.

Sowas ist natürlich nur möglich, wenn es keine Grenzen gibt. Für Weinreben gibt es keine Visumspflicht und Schengen ist überall. So haben viele Sorten ihre Stammlande längstens verlassen, wie der Chardonnay, Merlot und der Pinot Noir. Der Syrah beispielsweise ist vom Rhonetal aus nach Australien und Kalifornien und auch sonst fast die ganze Welt ausgewandert, ausser paradoxerweise nach Shiraz, wo noch immer Alkoholverbot gilt und er unter der Burka auch nicht besonders gut gedeiht. Ganz zu schweigen von den Cabernet-Sauvignon-Stöcken, die sich überall auf der Erde tummeln wie japa­nische Touristen, nur noch nicht auf dem Jungfraujoch und am Nordpol. Einer dieser Stöcke soll sich ja mal bei Blattners im Jura rumgetrieben haben und dabei ein leider nicht näher bekanntes Rebfräulein getroffen haben. Da dieses pilzresistent gewesen sei, ist daraus nicht Syphilis sondern Cabernet Jura entstanden. Schluck auf!*
Winzelried

*Rebbergmannsgruss, der bei der Fahrt in den Keller gebraucht wird

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