Ein Kater namens Sidi Brahim

Jurassic Parc

Ich gebe es zu: Manchmal bereue ich es, dass ich mich moralisch zunehmend schwerer tue mit dem Verzehr von Fleisch im Allgemeinen und von Haustieren im Speziellen. Das liegt vielleicht auch am zunehmenden Alter meiner Zähne und Katzen und an einer gewissen emotionalen Bindung an beide.

Katzen sind ja auch nicht einfach Fliegen. Wenn solche sich auf meinem Käsesandwich tummeln, habe ich nach wie vor keine Hemmung, nach alt-darwinistischer Manier draufzuklatschen und nach Entfernung der Beine und Flügel aus der Butter weiterzuessen (das Sandwich).

Bei Katzen ist das nicht so einfach. Auch die haben sich schon auf der Butter getummelt, die unbewacht während des Zähneputzens auf dem Frühstückstisch stand, aber ein Einsatz der Fliegenklatsche wäre in diesem Falle nicht zweckmässig gewesen, er hätte dazu geführt, dass die danebenliegende aufgeschlagene Tageszeitung mit dem Artikel über den letzten Atomkraftwerk- oder Bankunfall oder so durch einen Fettunfall unleserlich geworden wäre. Ein Ksch-ksch, welches unmittelbar auf das durchaus vorhandene schlechte Gewissen des Übeltäters einwirkt, ist hier in der Regel schadensselektiver, ethisch korrekter und besser verträglich mit unseren Erziehungsgrundsätzen gegenüber allem, was weniger als fünf Beine hat, die man zudem anschliessend auch nicht aus der Butter entfernen muss.

Auch wenn die Erziehung leider keine
nachhaltige Wirkung entfaltet - sitzt die Katze doch am nächsten Tag wieder auf der Butter - lieben wir unsere beiden mittlerweile dreizehnjährigen Katzen, müssen aber gleichzeitig darauf achten, dass sie mit der zunehmenden Altersdemobilität nicht aus dem Leim gehen. Mäuse jagen sie längst nur mehr virtuell, indem sie im Schlaf mit den Ohren zucken, und dem Einbau noch grösserer Katzentörchen sind aus bautechnischen Gründen leider Grenzen gesetzt: die Aussentür unserer Küche misst lediglich 74 cm Breite und eine Baubewilligung für ein Garagentor am Hinterhaus haben wir bis dato nicht erhalten. Daher kriegen sie durch die Woche nur altersgerechtes Spezial-Trockenfutter, dessen durch Kauarbeit bedingter Kalorienverbrauch so kalkuliert ist, dass die für die virtuelle Mausjagd benötigte Kalorienzufuhr nicht übermässig überschritten wird. Nur an den Tagen, die mit S beginnen - den Sams- und Sonntagen - gibt’s Säckchen oder Dose, d.h. Feuchtfutter, welches man in der Abteilung "Nahrungsmittel für Bezüger von Ergänzungsleistungen" im nächsten Grossverteiler findet.

Auf dieses stürzen sich unsere Katzen dann mit animalischer Gier. Manchmal geht der weitgehend zahnlos mögliche Verzehr dieser ziemlich genussfrei aussehenden und riechenden Masse derart schnell, dass die gealterten Magensynapsen völlig überfordert sind und die unerwartete Expresssendung spontan und unfrankiert gleich wieder an die Verteilzentrale zurückschicken. Praktisch, wenn dies gleich noch über dem Napf passiert - die Eingangsschnittstelle bemerkt den tatsächlich kaum vorhandenen Unterschied nicht und wiederholt einfach den Versand, etwas ungünstiger, wenn dies über dem
Gabbeh oder den Pantoffeln des Gabenspenders passiert.

Leider beschränkt sich die Erziehungsresistenz unserer Katzen nicht nur auf die Butterfrage, sondern auch auf die Wochentage. Sie wollen einfach nicht begreifen, dass nach dem Sonntag fünf Wochentage folgen, die nicht mit S beginnen, es also Trockenfutter gibt. Dieser kalte Entzug ist leider nötig, wenn man sieht, wie das Zeugs wirkt: Kaum habe die Katzen die himmlischen Gaben verschlungen, verlangen sie nach mehr. Und mehr. Und noch mehr. Dabei pflegt die eine Katze - Cipolla - den Futternapf nicht mehr zu verlassen und einem dermassen penetrant und jämmerlich miauend um die Beine zu streifen, sobald man sich ihm auf weniger als fünf Meter nähert, dass eine unfallfreie Fortbewegung auf zwei Beinen im eigenen Haus nicht mehr möglich ist und sämtliche Nachbarn schon den Tierschutz alarmiert haben. Der andere - Aglio - möchte gerne seine Dankbarkeit und seinen Wunsch nach mehr dem Futterspender zeigen, indem er pausenlos versucht, sich an den Hosenbeinen desselben hochzuziehen, kaum dass dieser sich setzt, um der Unfallgefahr vorzubeugen. Diese starke emotionale Bindung verträgt aber auch der robusteste Jeansstoff nicht, geschweige denn die vernarbte Haut darunter. Daher gilt seit längerem: Alte Kleider und lange Unterhosen anziehen vor dem Füttern und dann möglichst fluchtartig die Höhle verlassen. Und ich bin regelmässig froh, wenn ich am Montag morgen Jurassic Parc verlassen und in die Zivilisation eines Büros zurückkehren kann.
Grüezimek

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