Ein Kater namens Sidi Brahim

Krimskrams

Eigentlich wollte ich schon einmal einen Text über Messies schreiben. Ich hatte schon ganz viele Ideen und praktische Erfahrungen gesammelt, den Text schon fast fertig. Dann habe ich ihn irgendwo hingelegt, um ihn noch etwas reifen zu lassen - und plötzlich war er weg...

Nun ja, ich probier es einfach noch einmal. Das Schöne an Ideen ist ja, dass sie im Gegensatz zu verlegtem Papier im Gerümpel der Hirnwindungen zwischen ungelösten Gleichungen mit siebzehn Unbekannten, Einkaufslisten von Weihnachten 1998 und "den Typen hab ich schon irgendwo mal gesehen" wieder auftauchen wie schwarze Löcher im Socken des Universums.

Wer glaubt, mit dem Storch kämen die Kinder, liegt kreuzfalsch, richtig ist eigentlich, dass mit den Kindern der Storch kommt. Bei uns jedenfalls war es so. Anlässlich eines Ausflugs ins Elsass u.a. zu einer Storchenkolonie zusammen mit unserer Tochter im besten Jö- und Sammelalter begehrte sie ebenfalls, einen solchen Flugapparat ihr Eigen zu nennen. Ihrem Wunsch wurde selbstverständlich entsprochen, und bald begleitete uns ein kleiner Plüschstorch namens "Krimskrams" auf unserer Reise. Aber mit den Kindern kommen nicht nur die Störche, sie verschwinden auch wieder: Nicht lange waren wir wieder daheim, als Krimskrams bereits seine eigenen Wege ging. Irgendwann mal wurde er dann sehnlichst und tränlichst vermisst, war aber unauffindbar, und weder der Nachrichtendienst des Bundes noch "Bauer sucht Storch" konnten uns wirklich weiterhelfen. Uns blieb nichts anderes übrig, als das arme Tier nach angemessener Karenzfrist für verschollen zu erklären und uns auf die ebenso erfolglose Suche nach dem Testament zu begeben.
Aber verschollen ist eben nicht verstorben, und so tauchte Krimskrams eines Tages unverhofft wieder auf, als wir uns aufmachten, die ebenso verschollene quietschende Gummigiraffe Sophie im Urwald zu suchen. Nein, nicht im Urwald, eigentlich in der Ursuppe suchten wir, als welche wir einen grossen, sicherheitshalber nicht mit Entsorgungsmarke versehenen Plastikeimer mitsamt seiner Entourage bezeichneten, in welchem sich allerhand Kleinkindertrophäen, eben Stofftiere, Legosteine, Camembertverpackungen, Popel, Quastenflosser und Migros-Nanos angesammelt hatten. Dort zuunterst im südlichsten Zipfel dieses Eimers, mitten im Horror vacui fanden wir Krimskrams.

Seither wissen wir, was "zweimal Weihnachten" bedeutet. Dieser ursprünglich aus der Alzheimertherapie stammende medizinische Fachbegriff, vom Namen des Geburtsfests des Messias1 entlehnt, bezeichnet ein auch in Familien gelegentlich vorkommendes Phänomen des unverhofften Wiedersehens eines vermisst geglaubten geliebten Gegenstandes. Eine Erfahrung, welche mir erst letzthin nach einer Aufräumaktion zuteilwurde, welche meine resolute und am wenigsten messianisch veranlagte Ehefrau zusammen mit unserer Tochter durchsetzte. Da entdeckte ich, dass unsere Wohnung doch ein Wohnzimmer besitzt, was mir im Lauf der Jahre etwas verschütt gegangen war. Umso besser: Das gibt wieder viel Platz für lauter kleine und grosse nützliche Sachen.

Im Gegensatz zu Plüschstörchen, Schleichtieren und Playmodis und -boys, alles mehr oder minder anorganisch veranlagten Lebewesen, haben organische wie Wurst, Gemüse und Käse die unangenehme Angewohnheit, bei längerer

1 Ur-Messie. Er sammelte ebenfalls allerhand unnützes Zeug: Wunder, Jünger, Weihnachtsgeschenke und Kirchensteuern.
Aufenthaltsdauer mehr oder minder unternehmungslustig zu werden, erst olfaktorisch, danach auch kinetisch. Daher wurden sie früher auch einfach verzehrt, bevor sie unaussteh- oder -findbar wurden. Findige Sammler und Jäger haben dann mal bemerkt, dass diese Wechselblüter mit gezielter Kühlung einigermassen still gehalten werden können, was zur Erfindung des Kühlschrankes geführt hat2. Seither steht in fast jeder Wohnhöhle der Spezies Mensch eine solche verschliessbare Niedertemperatur-Sammelbox und lässt auch das Herz von Messies höher schlagen. Es ist unglaublich, wieviel in so eine Box reinpasst und wieviele Gelegenheiten für erheiternde Familienratespiele sie hergibt. Zum Beispiel: Wer findet raus, was dieses runde, weisslichgrüne Objekt mal war? Vor drei Jahren habe ich im obersten Regal zuhinterst eine Weisswurst hingelegt. Wo glaubt ihr, habe ich sie wieder gefunden? Jedenfalls hat die DNA-Analyse zweifelsfrei ergeben, dass der schleimige Vorhang an der hinteren Wand der Gemüseschublade zumindest mit ihr verwandt gewesen sein muss. Und, Kind, hast du letzthin deinen Mutterkuchen mal gesehen?

Diesen doch eher exzessiven Auswüchsen der kalten Sammelwut versuchen wir zu begegnen, indem wir uns strikt daran halten, die eingesperrten Lebensmittel zwar nicht immer vor ihrem Ablauf- aber doch immer vor ihrem Weglaufdatum dem Verzehr zuzuführen. Das verhindert Verluste und stärkt das Immunsystem. Ausserdem schafft es Platz, falls ein besonders unordentliches oder unartiges Stofftier, zum Beispiel Günther, wieder mal zur Bestrafung nach Sibirien verbannt werden muss.
Cumulus

2 Ein besonders findiger Sammler oder Jäger aus Kehrsatz soll einen Toast Hawaii mit dieser Methode, unter dem Gefrierpunkt praktiziert, nachhaltig am Davonlaufen gehindert haben.


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