Ein Kater namens Sidi Brahim

Epochale Verwicklungen

Epochale Entwicklungen riefen auch immer Zweifler auf den Plan. Als die ersten Eisenbahnen aufkamen, malten deren Gegner das Schreckgespenst an die Wand, dass die horrende Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern, die diese erreichten, den Passagieren unweigerlich das Gehirn aus dem Kopf blasen würde. Erste Experimente am lebenden Objekt zeigten dann aber bald, dass das nicht der Fall war. Jedenfalls nicht in der Eisenbahn. Auf dem Fahrrad hingegen scheinen hohe Geschwindigkeiten aber immerhin zu Gedächtnisverlust zu führen. Da gab es doch mal so ein Velorennen in Frankreich, bei dem immer galt: Mitmachen ist wichtiger als Gewinnen. Jedenfalls gab es da in den letzten Jahren doch einige Gewinner, die das später dann plötzlich nicht mehr waren, weil sie zu sehr mitgemacht hatten. Und zwar nicht nur beim Rennen. Aber eben, daran konnten die sich irgendwie nicht mehr richtig erinnern. Wohl wegen dem Tempo, von dem sie sich auch nicht richtig erklären konnten, wie sie es erreicht hatten. Tour de Trance nannte sich das Rennen übrigens.

Diese Zusammenhänge sind schon länger Untersuchungsgegenstand diverser
Radsportverbände wie dem UCI1: Führt nun das Mitmachen zum hohen Tempo und dieses erst zum Gedächtnisverlust oder führt das Mitmachen direkt zum Gedächtnisverlust unabhängig vom Tempo oder führt der Gedächtnisverlust in hohem Tempo zum Mitmachen? Solange keine klaren Beweise vorliegen bzw. man diese vernichten kann, macht man weiter mit.

Verstehen kann man das schon: Wer selber mal als Amateurradler über den Col du Galibier oder quer durch das Massiv Central geradelt ist, weiss, wie einem der Arsch hinterher brummt. Verständlich also, dass die Profis, die davon leben müssen und nicht masochistisch veranlagt sind, ihre Leidenszeit so kurz wie möglich halten, also so schnell wie möglich fahren wollen. Da helfen halt gewisse leistungssteigernde und gedächtnismindernde Substanzen schon ein wenig. Ich hatte mir in meiner Amateurzeit da auch immer geholfen mit solchen Substanzen. Bordeaux hiessen die damals oder Bandol. Leistungssteigernd waren diese leider nur am Abend, aber gedächtnismindernd auf alle Fälle.

Was beim Doping leider auf der Strecke bleibt, ist die Nachhaltigkeit, insbesondere des Gedächtnisverlusts. Kaum hört man

1 Use Clean Infusions
damit auf, fällt einem plötzlich doch wieder ein, dass da mal was war mit Spritzen und seltsamen Gläsern und so im Kühlschrank von allen möglichen Kollegen. Ah ja, und dass diese Kerle dann noch die Frechheit hatten, einem das Zeug auch noch unters Joghurt oder ins Fleisch zu mischen. Wobei in gewissen Fällen die Frage berechtigt ist, ob das Fleisch vor oder nach dem Verzehr stärker kontaminiert gewesen ist2. Mit dem Ende der Karriere als Profiradler folgt daher dann meistens eine solche als Kronzeuge und Kollegenschwein3. Auch das ist nicht weiter verwunderlich: würde man beispielsweise das Wadenfleisch von Lance Armstrong, dem ehemaligen Epozentrum der Tour, in einem Labor untersuchen, wäre es wohl deutlich testosteronhaltiger als das eines mittelamerikanischen Mastschweines. Echtes Rammelfleisch halt.
Rudi Rüssel

2 Alberto Contador hat an der Tour 2010 angeblich kontaminiertes mitgebrachtes spanisches Rindfleisch gegessen, was zu einem positiven Doping-Befund führte. Spanien ist vermutlich das einzige Land, in welchem sogar die Rinder radfahren.
3 Ein Geschäftsmodell, das bei Bankern abgeschaut wurde. Radfahrer sind aber meistens zu blöd, CD’s zu brennen, daher geben sie lieber Interviews.


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