Ein Kater namens Sidi Brahim

Auf den Spuren Tutanchamuns

Das Fackellicht tropft von den feuchten Wänden und erleuchtet nur knapp die ins Nichts führende steile, unregelmässige Steintreppe, auf der in unregelmässigen Abständen rutschige Gurkenscheiben liegen. Langsam tastest du dich mit klammen Fingern der Wand entlang nach unten, Stufe für Stufe. Plötzlich schrickst du zusammen: Was war das für ein dumpfes Grollen? Ein Knurren? Kam das gar von deinem Inneren? Vergeblich leuchtet deine Fackel, ihr Licht wird von der Schwärze vor dir gefressen. Warum nur musstest du dich nur in diese Ungewissheit hineintreiben lassen, mitten in der Nacht? Warum nur der Hunger nach Abenteuer? Zitternd weiter, Stufe um Stufe. Endlich bist du am Ende der Treppe angekommen. Dort biegt ein Gang rechts ab, dann wieder links, dann öffnet sich eine grosse Kammer. Ganz still ist es hier drin plötzlich. Kein Tropfen mehr von der Decke, kein Windzug. In der Mitte steht ein grosser steinerner Kasten. Auf den ersten Blick ein Sarg. Aber warum steht er aufrecht und liegt nicht? Und wieso hat er einen Griff am Deckel? Das Licht der Fackel täuscht: Es ist gar kein Stein, sondern dunkles Holz. Beherzt ziehst du an dem Griff, reisst am Deckel, er geht mit einem Ruck auf, und...
...das Knurren verstummt, der Atem stockt. Was du im ungnädig gleissend aufflammen­den Licht des Feinkostsarkophages erblickst, lässt die Zeit stehen bleiben. Dreitausend Jahre Geschichte vor dir. Schlagartig wird dir bewusst, dass du ohne Grabungsbewilligung und Lebensmittel­inspektor unterwegs bist. Wobei letzterer sicher nichts zu beanstanden hätte, da unter den Grabbeigaben im Reliquienschrein Marke Bauknecht keine Lebensmittel mehr erkennbar sind, höchstens noch Fastfood1 und Trennkost2. Rund um ein entfernt migrossalatkopfförmiges, graugrün fluoreszierendes Klumpenrisiko sammeln sich weitere Geschöpfe, die an Viktualiens erinnern. Zum Beispiel ein Joghurt, welches vom ersten Kappelerkrieg datiert und einen tiefen Einblick in die Lebensweise unserer evolutionsgeschichtlichen Vorfahren gewährt, ein vorchristlicher Osterhase mit schlecht verheiltem Sonnenbrand an den Ohren und ein nach frutarischen Prinzipien geernteter Schweinehoden. Oder der von Erich Honecker handsignierte Dresdener Weihnachtsstollen, dessen Verzehr unter Körperverletzung geahndet werden müsste, was aber nicht möglich ist, da die längst aufgelöste SED ja für ihre Foltermethoden

1 Fast Essen
2 Kost, von der man sich auf dem schnellstmöglichen Weg wieder trennt, also oral
nicht mehr belangt werden kann. Zwischen Girls Gammelquark und Boys Fettecke schimmert die Vintage Edition einer Banane - sie benötigt dringend eine Rasur3, ebenso wie die Pelztorte von Meret Oppenheim und Conchitas Wurst. Nur die Maden, welche den Münsterkäse schmatzend und johlend verlassen, sehen noch einigermassen frisch und essbar aus. Trotzdem verzichtest du darauf, die Ernährungsempfehlungen der FAO zu befolgen, schliesst die Tür des Kühlschranks wieder, rutschst auf der Banane oder einer Gurkenscheibe aus und schlurfst fluchend und hungrig zurück ins Bett. Dort fällt dir ein, dass da irgendwo neben dem Bett noch mehr Reste von Tutanchamuns4 Maske liegen müssten, die du vor dem Zubettgehen aufgesetzt hattest. An diesen Resten saugend beruhigst du den knurrenden Magen und dämmerst langsam zurück ins Reich der Pharaonen.
Gaul Müllau

3 Schimmel im Essen ist eigentlich eine Errungenschaft der Lebensmittel­entwertungs­industrie. Man denke nur an die Pferdichgerichte mit hohen Anteilen an Fohlenhydraten
4 Eine Gurkensorte


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