Ein Kater namens Sidi Brahim

Die achte Plage

Ich war noch nicht ganz wach, als ich das Glas mit den Corn Flakes öffnete und mir eine Schale füllte. Aber was war denn das? Da schaute doch tatsächlich etwas Grünes mit langem Hals und grossen dunklen Augen aus dem Haufen Gelber Flocken heraus und wimmerte gotterbärmlich. „Ja wer bist denn du?“ fragte ich. „Cornflexi heiss ich“. „Und warum bist du so traurig?“ „Weil mich einfach keiner finden und fangen will.“ „Wenn das alles ist. Ich hab eh nicht gern grünes Zeugs in meinem Cornflakes“ meinte ich, griff zum Löffel und versuchte Cornflexi rauszufischen. Der protestierte gar heftig: „Aber nein, du musst den Ball nehmen“ „Was für einen Ball?“ „Na den Pokéball, du Depp! Machst das wohl das erste Mal, wie?“ Da musste ich ihm Recht geben. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was so ein Pokéball ist. Ich versuchte es mit einer Aprikose – Obst im Müesli soll ja gesund sein. Das ging aber nicht gut. Postwendend flog die zurück und zerplatzte klatschend an meiner Stirn. Aber nicht mit mir! Ich packte die Schale mit den Cornflakes, ging in den Garten und leerte die Bescherung einfach auf den Kompost. Dann füllte ich sie mir wieder mit Cornflakes, und, ratet mal, wer da wieder grün und frech rausschaute? „So einfach wirst du mich nicht los!“ ätzte Cornflexi „da ich ja standortgebunden bin, werde ich immer aus deinem Müesli rausschauen, bis du mich gefangen hast“. Wütend packte ich die Schale und ging in den Garten frühstücken. Tatsächlich: Cornflexi war nicht mehr drin. Betrübt schaute er mir aus dem Küchenfenster zu. Ich drehte ihm eine Nase. Einszunull.

Etwas schwieriger war das mit Popito. Nach den Cornflakes musste ich, wie morgens üblich, aufs Örtchen. Nach erfolgreicher Erleichterung – ich wollte mich gerade versäubern – kniff mir etwas in den rechten Hoden. Verblüfft schaute ich mich um: nichts zu sehen. Ich wollte das als morgendliche Überreizung abtun und griff zum Papier, als es mich wieder kniff. Wieder nichts. Beim dritten Mal war ich vorbereitet und sprang schnell auf. Eben noch sah ich eine dünne rote Greifzange unter der Klobrille verschwinden. Verschreckt hob ich die Klobrille an. Da sass er: Popito. Achtbeinig,
circa vier Zentimeter gross, rot, an jedem Bein eine Greifzange und schnauzte mich an: „Das sind keine Pokebälle! Und das andere auch nicht. Ausserdem stinken die erbärmlich. Du bist wohl neu hier, wie? Darf ich dir mal die Regeln erklären?“ „Ich denke eher, dass du neu bist“ konterte ich „ich wohne hier schon seit fast zwanzig Jahren und werde doch wohl noch auf meinem eigenen Klo meine Notdurft verrichten dürfen, wie ich will!“. Dann packte ich die Klobürste und wollte Popito damit verscheuchen. Das ging aber nicht. Ich konnte über ihn schrubben wie ich wollte, auch die WC-Ente konnte mir nicht weiterhelfen, sie jammerte bloss, sie habe zu wenig Wettkampfpunkte und könne es mit Popito nicht aufnehmen, und Popito blieb wo er war und lachte hämisch: „Ohne Pokébälle geht da gar nix. Ich bleib da und kneif dir weiter in den Arsch, wenn du es nicht schnallst.“ Einszueins.

Also ging ich in die nächste Drogerie und verlangte eine Packung Pokébälle. Mir schien, die Verkäuferin grinste verhalten, als sie mir die Packung überreichte, aber ich schob das meiner Gereiztheit zu. Die Dinger nützten allerdings gar nichts. Ich warf ein paar nach Popito, der mich aber bloss auslachte. Den Rest tat ich ins Cornflakesglas, aber auch gegen Cornflexi nützten sie nichts. Ausserdem liebe ich es nicht, wenn mein Frühstück nach Kampfer riecht. Zweizueins.

Es musste also härter durchgegriffen werden. Die darauffolgende Woche mussten wir uns ein Hotel nehmen, denn so lange dauerte es, bis uns der Kammerjäger die DDT-behandelte Wohnung wieder zur Betretung freigab. Die Wirkung war allerdings bescheiden: Neben Cornflexi und Popito hatte sich nun noch Schlurp in unsere Monster-WG eingenistet. Er sitzt am Esstisch am vierten, bisher leeren Platz, und rülpst immer, während wir essen. Immerhin isst er nur virtuell mit, zu kochen brauch ich wegen ihm nicht mehr, im Gegenteil: Die unappetitlichen Geräusche, die Schlurp von sich gibt, zügeln unsern Appetit. Die Schlurp-Diät. Er versteht sich vorzüglich mit Cornflexi. Sie machen gerne Schneeballschlachten. Aber die Cornflakes zusammenwischen muss natürlich immer ich. Und Besuch einladen geht auch nicht mehr. Dreizueins.
Einen Vorteil haben die vielen Monster ja: Kinder haben viel weniger Angst vor Monstern unter dem Bett als früher. Man gewöhnt sich ja auch sonst mit der Zeit ganz gut an die neuen Haustiere und passt sich an. Immerhin: Sie fressen nur Bitcoins und machen weder ins Kistchen noch daneben. Wenn Schlurp nicht gerade rülpst, liest er Cornflexi morgens auch schon mal aus der Zeitung vor. Da steht dann wieder drin, wie ein Pokémon-Jäger mit dem iBrett vor dem Kopf stracks in ein Güllebecken gelatscht ist. Die beiden kriegen sich dann fast nicht mehr ein vor Lachen. Mühsamer ist halt immer noch Popito, der mich morgens bald aus dem Haus und zu einem kleinen Umweg in den Bären zwingt. Da erschrecke ich dann immer noch, wenn ich die grosse Fliege im Pissoir sehe. Obwohl ich unterdessen weiss, dass Pokémons ortsgebunden sind und nicht einfach weg können. Die Fliege wird sich also nicht mit ihren pinkelverseuchten Füsschen auf meine Glatze setzen. Nur Günther, Evas Lieblings-Plüschschwein, ist sehr traurig: An seinem Platz links neben Evas Kopfkissen sitzt seit zwei Wochen Porkabella. Sie ist noch süsser als Günther, benimmt sich aber genauso schweinisch wie er. Vierzueins.

Aber wie das so ist im Leben: Kaum gewöhnt man sich an etwas, wird alles anders. Gestern früh schaute mich Cornflexi aus meinem Frühstück mit seinen grossen Augen traurig an und sagte „Go home“. Dann war er weg. Seither bewirft Schlurp uns mit den verwaisen Cornflakes. Wir hoffen, dass ihm das irgendwann langweilig wird, wenn wir nicht zurückwerfen. Popito fühlt sich leider gar nicht einsam auf dem unbenützten Klo, er hat jetzt mit der Fliege Freundschaft geschlossen und sie erzählen sich schmutzige Witze. Und Günther teilte uns heute mit, dass er bald ausziehen und mit Porkabella einen Familie gründen wolle. Wir seien aber herzlich eingeladen, auch mal die Kinderchen zu hüten. Das werden wir tun. Und die Porkabellchen schleunigst in der Pokémon-Baby-Klappe abgeben.
E.T.

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