Ein Kater namens Sidi Brahim

Das Pétrus-Evangelium

Haben Sie schon mal eine Flasche Château Pétrus getrunken? Wenn ja, dann gehören Sie entweder (a) zur russischen Mafia, (b) heissen Sheik Sidi al Brahim oder (c) sollten ihre finanziellen Angelegenheiten schleunigst einem Vormund überlassen, bevor Sie sich selber in den Ruin stürzen. Vielleicht haben Sie auch einfach neureiche Bekannte, denen der neue Maibach zu billig war. Wahrscheinlicher ist aber, dass Sie wie der Schreiber nicht zur auserwählten Elite gehören, dieses teuersten und angeblich besten aller Weine aus eigener Erfahrung zu kennen und Ihnen aus purem Neid nichts anderes übrig bleibt, darüber zu spotten. Was ihnen nichts nützen wird, denn wer wird Sie als Weinkenner denn schon ernst nehmen wollen, da Sie ja noch nicht einmal einen Château Pétrus getrunken haben! Banause eben!

Ja, haben Sie denn wenigsten schon mal einen Château Haut-Brion, einen Château Margaux oder Château Latour getrunken? Auch nicht?? Mein Gott, und sowas diskutiert hier mit! Ich kenne immerhin jemanden, der eine Putzfrau hat, dessen
Bruder einen Freund besitzt, der vor fünf Jahren von einer Flasche des edlen Châteaus Haut-Bages-Libéral, die sein Chef getrunken hatte, die Etikette ablösen durfte. Aber erst nachdem er ihm drei Wochen lang angefleht und die Füsse geküsst hatte.

Ja, mit dem Klassifizierungssystem, das in Bordeaux 1855 eingeführt wurde, wurde die Menschheit in sechs Klassen oder Kasten eingeteilt. Die meisten gehören naturgemäss in die sechste, die Paria-Klasse der Cru-Bourgeois-Trinker, deren Zugehörigkeit als Glücksfall zu betrachten ist. Wer nämlich einer der höheren Klassen angehört und dies mit der Anschaffung der entsprechenden Getränke beweisen will, muss je länger desto mehr dafür aufwenden. Die Preise steigen Jahr für Jahr stärker als die Krankenkassenprämien. Vielleicht ist diese Korrelation ja auch nicht zufällig, obwohl ich noch nie etwas zurückerhalten habe von all den Weinrechnungen, die ich jahrelang der Gesundheitskasse geschickt habe. Ist es die falsche Kasse? Aber welche dann, wenn nicht diese?

Da greift man auch mal zu unkoscheren Methoden um dazuzugehören, allerdings selten mit Erfolg: Der Freund des Bruders
der Putzfrau meines Bekannten wurde auch von seinem nächsten Chef entlassen, nachdem er ihm zum Nachtessen seinen Lieblingsbeaujolais mit der aufgeklebten Haut-Bages-Libéral-Etikette zu hausgemachten Käsekrainern serviert hatte.

Dabei haben viele der grossen Châteaux durchaus eine soziale Ader: Sie produzieren für den kleinen Mann einen Zweitwein, in welchen all das reinkommt, was die Qualität des Erstweines verpfuschen würde. Manche produzieren sogar einen Drittwein, in welchen alles reinkommt, was die Qualität des Zweitweines verpfuschen würde. Château Crache-Dedans, Château Aspirine und Château Lavache-Quipisse heissen dann diese vielversprechenden Provenienzen, die pro Flasche auch kaum mehr kosten wie fünf Kasten Bier. Aber laden Sie nicht Ihren Chef zu so einem Getränk ein – er kennt es womöglich gar nicht und es wird im somit so schmecken wie es heisst. Mein Tipp an all die Kastenlosen: Kauft die Getränke im Kasten, trinkt diese allein zuhause vor dem Fernseher und schimpft dazu auf eure Chefs!
Fiasco Fusel

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