Ein Kater namens Sidi Brahim

Wie die Rolling Stones ins Badezimmer kommen

Ungeahnte Spätfolgen: Entweder beim Coronatest an der Katze oder beim Versuch, die Arztrechnung mit Kartoffeln zu bezahlen, habe ich mir wohl einen Abszess geholt. Damit kann ich schlecht zum Arzt gehen, da dieser mir die Kartoffeln immer noch übelnimmt, also muss ich ihn selbst behandeln. Am praktischsten ist es, zunächst mal den Eiter aus der Wunde zu drücken, und das geht wiederum am besten mit einer Plastikkarte. Die gelbe Postcard lag gerade griffbereit.

Der Versuch, den nächsten Einkauf mit dem RFID-Chip der Postcard zu begleichen, misslang. Auf dem Display erschien statt «Zahlung abgeschlossen, bitte Karte entfernen» der Text «Blutgruppe 0 negativ, erhöhte Konzentration an Lactobacillus, Verdacht auf Sepsis». Dass nicht nur der Chip, sondern die ganze Karte unbrauchbar geworden war, wurde mir spätestens beim anschliessenden Gang zum nebenliegenden Postomaten klar, der mir ein Bündel blutroter 35-Rupienscheine ausspuckte. Die Verkäuferin wiederum wollte diese nicht an Zahlung nehmen, sondern griff zum Telefon, um die Polizei zu rufen. Ich ergriff die Flucht. Ich merkte mir: Kartenmissbrauch begehst du nicht ungestraft und macht dich kriminell.

Zuhause griff ich zum Telefon, um die Postfinanz anzurufen und eine neue Karte zu bestellen. Brav drückte ich mich durch die Menuführung und landete in der Hotline, eine immerwährend gleiche einschläfernde Melodie, zwischendurch unterbrochen von der Meldung, dass gerade kein Mitarbeiter frei
sei. Warum die Hotline überhaupt so heisst, war mir nach dreissig Minuten klar, als beide Ohren heiss waren.

Nicht mit mir, dachte ich. Beim nächsten Versuch wählte ich die Sprachoption «indisch», da ich davon ausging, dass weniger indisch- als deutschsprechende Kunden einen vollen, noch unbezahlten Einkaufswagen in der Migros stehen hatten, in dem der Sellerie und der Kabeljau sich langsam olfaktorisch bemerkbar machen würden, und ich schneller eine freie Leitung kriegen würde. Das war leider nicht der Fall. Die Melodie war dieselbe. Unterdessen kann ich den Satz «Zurzeit ist leider kein Mitarbeiter frei» auch auf indisch fliessend aufsagen, und in meinem Einkaufswagen hatte ein vom Geruch angezogener Migros-Mitarbeiter einige Halbpreiskleber wegen drohendem Ablaufdatum angebracht. Warum aber die Zeit nutzlos am Telefon hängen? Ich stellte den Lautsprecher des Hörers auf laut und begann das WC und Bad zu putzen.

Die Fenster waren längst ebenfalls geputzt, das Nachtessen – ein Tandoori Curry Chicken aus der Tiefkühltruhe – von den Gästen, die sich ein wenig über unsere essensbegleitende Soundkulisse mokiert hatten, verputzt, und ich war mitten im Abwasch, als endlich jemand auf der anderen Seite des Hörers abhob. Das Gespräch war recht kurz und leider nicht erfolgreich, denn der einzige Satz, den ich auf indisch beherrsche, ist «Zurzeit ist leider kein Mitarbeiter frei».

Ein paar Wochen später, der Badezimmer­spiegel war längst blind, die Badewanne hatte hässliche Scheuerstreifen, der Abszess war verheilt und die Migros gab es nicht mehr - sie wurde bei einer Gasexplosion unbekannter Ursache bis auf die Grundmauern zerstört -
besass ich endlich ich die neue Postcard. Aber unterdessen hatte ich die Nase voll von dieser idiotischen einschläfernden Melodie der Postfinance-Coldline, die mich bis in den Schlaf verfolgte. Sogar mein Wecker hat diese Melodie übernommen, ganz zu schweigen von den Amseln im Garten. Mein Psychiater riet mir, das Bad zu sanieren und anschliessend die Bank zu wechseln. Ein indischer Schwarzarbeiter erledigte ersteres und nahm auch die 35-Rupien-Scheine in Zahlung. Eine günstige Lösung, die ich aber ungern weiterempfehle, da sich eine Büffeltränke zum Duschen nur beschränkt eignet. Dann ging ich auf die Suche nach einer Bank-Alternative.

Auf ein Konto bei der Raiffeisen verzichtete ich schnell. Ich erkannte sofort die ersten Takte des «Rings der Nibelungen» in der Hotline. Da ich kein Wagner-Fan bin, 16-stündige Opern am Telefon nicht aushalte und der Walkürenritt meiner Schwammhand gegen den Strich läuft, war das keine Option für mich. Die Credit Suisse lockt ihre Kunden mit «Money» von Pink Floyd, sehr ehrlich, aber Roger Waters fürchtete die Konkurrenz unserer Wasserhähne und krähte entsprechend grauenhaft im gekachelten Raum.

Bei der UBS wurde ich fündig. Dort habe ich zwar immer noch kein Konto, was mir aber auch recht ist. Wichtiger ist mir, dass ich unterbruchsfrei «I can't get no satisfaction» mitsingen kann beim Kloputzen.
Brünnelihilde


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